August 2024 Blog

Mehr Sicherheit bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen

Bei Zustellung durch Bedienstete der Deutschen Post AG besteht ein Beweis des ersten Anscheins für den Zugang zu postüblichen Zeiten.

Sachverhalt

Die Parteien stritten über den Zugangszeitpunkt der Kündigung des beklagten Arbeitgebers. Er hatte der Klägerin zum 31.12.2021 gekündigt. Die Kündigung vom 28.9.2021 hatte er am 29.9.2021 als Einwurf-Einschreiben bei der Deutschen Post AG aufgegeben. Nach dem Auslieferungsbeleg war das Schreiben am 30.9.2021 in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen worden. Die Klägerin wendete ein, vom 28.9.2021 bis 6.10.2021 in stationärer Krankenhausbehandlung gewesen zu sein. Die Kündigung sei ihr am 6.10.2021 zugegangen; angesichts der im Arbeitsvertrag vereinbarten Kündigungsfrist zum Quartalsende habe ihr Arbeitsverhältnis erst mit dem 31.3.2022 geendet.

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die klageabweisenden Urteile der Vorinstanzen bestätigt. Es wiederholt zunächst seine ständige Rechtsprechung, wonach eine Kündigung unter Abwesenden zugeht, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und er unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit zur Kenntnisnahme hat. Der Einwurf in einen Briefkasten bewirke den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen sei. Insoweit seien nicht die individuellen Verhältnisse des konkreten Empfängers maßgeblich, sondern generalisierend darauf abzustellen, wann unter gewöhnlichen Verhältnissen Kenntnisnahmemöglichkeit bestanden habe. Schon bislang habe es angenommen, dass bei Hausbriefkästen im Allgemeinen mit einer Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten zu rechnen ist, wobei diese allerdings stark variieren können. Es bestehe ein Anscheinsbeweis, dass die Kündigung am 30.9.2021 zu den üblichen Postzustellzeiten in den Hausbriefkasten der Klägerin eingelegt worden sei, nachdem zuletzt unstreitig ein Bediensteter der Deutschen Post AG die Kündigung am 30.9.2021 in den Hausbriefkasten der Klägerin eingelegt habe. Die postüblichen Zustellzeiten würden durch das Zustellverhalten von Zustellern der Deutschen Post AG geprägt, die die Zustellung im Rahmen der ihnen zugewiesenen Arbeitszeit zu bewirken haben – sofern nicht andere Zustelldienste einen maßgeblichen Anteil an der Postzustellung haben und dies außerhalb der Arbeitszeit der Zusteller der Deutschen Post AG vornehmen. Entgegen der Ansicht der Klägerin komme es nicht darauf an, im konkreten Fall eine genaue Uhrzeit zu bestimmen, zu der im örtlichen Postbezirk die Zustellung erfolge. Diese könne je nach Arbeitszeit und -organisation des jeweiligen Zustellers variieren und sei insbesondere abhängig von der jeweiligen Postmenge und der Reihenfolge der Verteilung des Postgutes.

Praxisfolgen

Das BAG schließt sich mit diesem Urteil mehreren Landesarbeitsgerichten und dem BGH zur Frage des Anscheinsbeweises beim Zugang einer Kündigung durch Einlegen in den Hausbriefkasten des Empfängers an. Das gibt – etwas – mehr Rechtssicherheit bei der Zustellung von Kündigungen durch Einwurfeinschreiben über die Deutsche Post AG. Trotzdem ist aus mindestens drei Gründen nachdrücklich vor einem unreflektierten Vorgehen à la „Einwurf-Einschreiben genügt“ zu warnen.
Erstens setzt das Eingreifen des Anscheinsbeweises voraus, dass im Streitfall nicht nur der Einlieferungsbeleg vorgelegt werden kann, sondern auch eine Reproduktion eines ordnungsgemäß unterzeichneten Auslieferungsbelegs; die insoweit sehr lesenswerten und vom LAG Nürnberg bestätigten Ausführungen des erstinstanzlichen ArbG Nürnberg (Urt. v. 23.11.22,4 Ca 4439/21) zeigen dies deutlich.

Zweitens sind die Grundsätze des Anscheinsbeweises, wie das BAG im Einklang mit dem BGH hervorhebt, weder eine zwingende Beweisregel noch eine Beweisvermutung noch folgt aus ihnen eine Beweislastumkehr. Der Gegner kann folglich diesen Anscheinsbeweis erschüttern, indem er atypische Einzelfallumstände darlegt und unter Beweis stellt, die die ernsthafte, ebenfalls in Betracht kommende Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs naheliegen. 

Drittens, auch das belegt der Sachverhalt des erstinstanzlichen Urteils anschaulich, genügen der Einlieferungsbeleg sowie die Reproduktion des Auslieferungsbelegs nicht automatisch allein. Die Klägerin hatte nicht nur den Zugang der Kündigung bestritten, sondern auch behauptet, aus dem postalischen Zustellnachweis ergebe sich nur, dass ein Schreiben unbekannten Inhalts zugestellt worden sei. Erst im Ergebnis einer durchgeführten Beweisaufnahme zum wirklich minutiösen Vortrag des Beklagten zum Zustandekommen und Versand des Kündigungsschreibens war das Arbeitsgericht auch davon überzeugt, dass es sich beim zugestellten Poststück um die Kündigung gehandelt hatte. 

Die Zustellung von Kündigungen per Briefpost bleibt damit auch nach diesem Urteil nicht risikolos, erst recht dann, wenn die Post – so wie hier – erst kurz vor Ablauf der Kündigungsfrist beauftragt wird. Nach den am 1.1.2025 wirksam werdenden Änderungen des Postgesetzes – 95 % der Briefsendungen müssen binnen 3 statt wie bislang 2 Tagen ankommen – sind längere Brieflaufzeiten zu erwarten. Mehr denn je ist deshalb die persönliche Übergabe von Kündigungen zu bevorzugen. 

(BAG Urteil vom 20.06.2024, 2 AZR 213/23)

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