August 2024 Blog

Das Recht auf Reparatur steht in den Startlöchern 

Europäisches Parlament verabschiedet Richtlinie in geänderter Fassung und sorgt für erstmalige Verankerung des sog. Rechts auf Reparatur 

Rückblick: Was bisher geschah 

Die Europäische Kommission hatte am 22. März 2023 einen Richtlinien-Vorschlag für gemeinsame Vorschriften zur Förderung der Reparatur von Waren veröffentlicht, der Verbrauchern ein sog. „Recht auf Reparatur“ einräumen soll. Mit diesem sog. „Recht auf Reparatur“ sollen Verbraucher von Herstellern die Reparatur bestimmter Produkte verlangen können, auch wenn die gesetzliche Gewährleistungszeit und damit die Verkäuferhaftung bereits abgelaufen ist (vgl. Blogbeitrag Juli 2023).

Europäisches Parlament verabschiedet Richtlinie in geänderter Fassung 

Das Europäische Parlament hat die Richtlinie in geänderter Fassung am 23. April 2024 verabschiedet. Das Gesetzgebungsverfahren steuert auf seinen Abschluss zu. Die verabschiedete Richtlinie enthält im Vergleich zum ursprünglichen Vorschlag der Europäischen Kommission einige relevante Änderungen, die nachfolgend überblicksartig zusammengefasst werden. 

Das Europäische Formular für Reparaturinformationen, mit dessen Hilfe sich Verbraucher einen Überblick beispielsweise über Reparaturbedingungen, Reparaturzeit und Preise verschaffen sollen, ist nach der neuen Regelung in Artikel 4 Abs. 1 nur fakultativ. Reparaturbetriebe können dem Verbraucher das Formular innerhalb einer angemessenen Frist nach Anfrage zur Verfügung stellen, müssen es aber nicht. Das Formular ist grundsätzlich kostenlos zur Verfügung zu stellen (vgl. Artikel 4 Abs. 2). Für Reparaturbetriebe entfällt durch die rein fakultative Ausgestaltung die Angst vor zu hoher Bürokratiebelastung. Verbraucher müssen indes darauf hoffen, dass ihnen das Formular freiwillig zur Verfügung gestellt wird. 

Der zentrale Reparaturanspruch des Verbrauchers gegen den Hersteller aus Artikel 5 Abs. 1 (Reparaturverpflichtung des Herstellers) wurde präzisiert. Insbesondere beschreibt Artikel 5 Abs. 2 die näheren Bedingungen einer Reparatur nach Artikel 5 Abs. 1. Artikel 5 Abs. 2 sieht unter anderem neu vor, dass die Reparatur durch den Hersteller innerhalb eines angemessenen Zeitraums ab dem Zeitpunkt, ab dem der Hersteller die Ware physisch in Besitz bzw. vom Verbraucher erhalten oder Zugang zu ihr bekommen hat, zu erfolgen hat (lit. b)). Zudem kann der Hersteller dem Verbraucher fakultativ für die Dauer der Reparatur entgeltlich oder unentgeltlich eine Ersatzware als Leihgabe zur Verfügung stellen (lit. c)). Da die Reparaturverpflichtung des Herstellers nicht greift, soweit eine Reparatur unmöglich ist, sieht Artikel 5 Abs. 2 ferner vor, dass der Hersteller dem Verbraucher in solchen Fällen fakultativ eine bereits überholte Ware als Ersatz anbieten kann (lit. d)). Artikel 5 Abs. 4 statuiert, dass Hersteller, die Ersatzteile und Werkzeuge für die unter die Reparaturpflicht fallenden Waren bereitstellen, diese Ersatzteile und Werkzeuge zu einem angemessenen Preis anbieten, der nicht absichtlich von einer Reparatur abschreckt. Zudem sollen Hersteller gemäß Artikel 5 Abs. 5 sicherstellen, dass Verbraucher über eine frei zugängliche Webseite auf Informationen über die Richtpreise zugreifen können, die für die typische Reparatur dieser Waren berechnet werden. Artikel 5 Abs. 6 verbietet es Herstellern, Vertragsklauseln oder Hardware- bzw. Softwaretechniken zu verwenden, die eine Reparatur behindern könnten, es sei denn, dies ist durch legitime und objektive Faktoren wie den Schutz der Rechte des geistigen Eigentums gerechtfertigt. Insbesondere dürfen Hersteller die Verwendung von (mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmenden) Originalersatzteilen, gebrauchten Ersatzteilen, kompatiblen Ersatzteilen oder Ersatzteilen, die mittels 3D-Druck hergestellt wurden, durch unabhängige Reparaturbetriebe nicht behindern. Artikel 5 Abs. 8 stellt klar, dass sich Verbraucher unbeschadet der Reparaturverpflichtung der Hersteller auch an jeden anderen Reparaturbetrieb ihrer Wahl wenden können. Artikel 5 Abs. 7 bestimmt, dass Hersteller Reparaturen nicht allein deshalb ablehnen dürfen, weil an der zu reparierenden Ware bereits früher eine Reparatur von anderen Reparaturbetrieben oder anderen Personen durchgeführt wurde. 

Artikel 6, der sich mit Informationen über Reparaturdienste beschäftigt, wurde nur leicht angepasst. Hersteller sollen mindestens für die gesamte Dauer ihrer Reparaturverpflichtung Informationen über ihre Reparaturdienstleistungen in leicht zugänglicher, klarer und verständlicher Weise kostenlos bereitstellen.

Der ursprüngliche Richtlinien-Vorschlag der Europäischen Kommission sah in Artikel 7 eine sog. Matchmaking-Reparaturplattform im Internet vor, über die es Verbrauchern erleichtert werden sollte, mit Reparaturbetrieben und Verkäufern aufbereiteter Waren in ihrer Nähe in Kontakt zu treten und diese zu vergleichen. Diese Regelung beschränkte sich darauf, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass für ihr Hoheitsgebiet mindestens eine Online-Plattform besteht. In der modifizierten Fassung ist jetzt eine gemeinsame Europäische Online-Plattform für Reparaturen vorgesehen, die wiederum aus nationalen Sektionen besteht, die die gemeinsame und in allen Amtssprachen der Union verfügbare Online-Schnittstelle nutzen (Artikel 7 Abs. 1). Die Nutzung ist für den Verbraucher kostenlos; die Registrierung für die Reparaturbetriebe erfolgt indes nur freiwillig (Artikel 7 Abs. 5). In Artikel 7 Abs. 6 werden umfassende Anforderungen benannt, die die nationalen Sektionen, die die gemeinsame Online-Schnittstelle nutzen, erfüllen müssen. Hervorzuheben sind die unter Artikel 7 Abs. 6 lit. a) beschriebenen umfassenden Suchfunktionen betreffend u.a. die Waren, den Standort der Reparaturdienstleistungen, die Reparaturbedingungen und die geltenden Qualitätsstandards. Die Plattform soll Verbrauchern dabei helfen, Reparaturbetriebe oder Verkäufer aufbereiteter Waren zu finden und die Bedingungen einer Reparatur zu erfassen. 

Neu sieht Artikel 13 Abs. 1 der Richtlinie vor, dass die Mitgliedstaaten mindestens eine Maßnahme zur Förderung der Reparatur ergreifen. Reparatur-Gutscheine oder die Bereitstellung von Fördergeldern für Reparaturen (Reparatur-Boni) sind Beispiele hierfür. Auch Informationskampagnen oder die Einführung eines Reparaturindex sind denkbar. 

Änderungen haben sich auch bei der Modifizierung der Verkäuferhaftung ergeben: Der ursprüngliche Richtlinien-Vorschlag der Europäischen Kommission sah in Artikel 12 eine Modifizierung der Verkäuferhaftung in Ergänzung der RL 2019/771/EU vor. De facto begründete der ursprüngliche Vorschlag den Vorrang der und die Verpflichtung des Verkäufers zur Reparatur, solange diese günstiger ist oder genauso viel kostet wie die Ersatzlieferung. Diese Verpflichtung des Verkäufers zur Reparatur wurde in der geänderten Fassung verworfen. Der Verbraucher kann weiterhin grundsätzlich frei zwischen Nachbesserung und Ersatzlieferung wählen. Neu hingegen (vgl. Artikel 16) ist die Regelung in Artikel 10 Abs. 2a der RL 2019/771/EU: Entscheidet sich der Verbraucher zukünftig für die Nachbesserung, verlängert sich der Haftungszeitraum des Verkäufers einmal um 12 Monate. Ergänzend wird in Artikel 13 Abs. 2a der RL 2019/771/EU zukünftig die Verpflichtung des Verkäufers geregelt sein, dass der Verkäufer den Verbraucher über sein Recht informiert, zwischen Nachbesserung und Ersatzlieferung frei zu wählen, sowie über die mögliche Verlängerung des Haftungszeitraums nach Artikel 10 Abs. 2a für den Fall, dass der Verbraucher die Nachbesserung wählt. Diese Information soll erfolgen, bevor der Verkäufer die Abhilfe (durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung) leistet, um den vertragsgemäßen Zustand der Ware herzustellen. Zudem sieht die Änderung von Artikel 14 Abs. 1 der RL 2019/771/EU vor, dass der Verkäufer dem Verbraucher während der Nachbesserung unentgeltlich eine Ersatzware, auch eine überholte Ware, fakultativ als Leihgabe zur Verfügung stellen kann. Auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers kann der Verkäufer zur Erfüllung seiner Verpflichtung, die Ware zu ersetzen, eine überholte Ware bereitstellen. Insoweit ist der Gleichlauf zu Artikel 5 Abs. 2 lit. c) und d) der Richtlinie offensichtlich. 

Ausblick

Bevor die EU-Staaten die Richtlinie innerhalb von 24 Monaten in nationales Recht überführen müssen, entscheidet der Rat über seine Zustimmung – ein rein formaler Akt. Es folgt die Veröffentlichung im Amtsblatt, sodann tritt die Richtlinie 20 Tage nach Veröffentlichung in Kraft. Die Vorgaben der Richtlinie sind in der Folge binnen einer Frist von zwei Jahren ab Inkrafttreten in nationales Recht umzusetzen. Das sog. „Recht auf Reparatur“ wird nun erstmals durch die Richtlinie verankert. Die Verpflichtung der Hersteller, Reparaturen zu ermöglichen, ist ein bedeutender Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Konsumentscheidung. Die Regelungen, auf die man sich geeinigt hat, sind ein klares Signal an die Hersteller, dass die EU die Verlängerung des Lebenszyklus eines Produkts fordert und fördert. Mit Spannung wird zu beobachten sein, inwieweit sich das Regelungswerk auf den Lebenszyklus der von der Richtlinie umfassten Produkte auswirken wird. Es drängt sich auf, dass die Lebensdauer der Produkte durch die Hersteller perspektivisch verlängert werden muss. Verbraucher jedenfalls erhalten fortan einen direkten Reparaturanspruch gegenüber Herstellern, sodass sich Verbraucher zukünftig im Rahmen von Kaufverträgen, bei denen die gesetzliche Gewährleistungszeit bereits abgelaufen ist, an den Hersteller anstatt an den Verkäufer wenden werden. 

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