Mai 2024 Blog

Beihilfen für grünen Wasserstoff – mit IPCEIs in den Subventionswettlauf

Europäische Kommission genehmigt bis zu 6,9 Milliarden Euro an staatlichen Beihilfen für Wasserstoffinfrastruktur (IPCEI Hy2Infra).

Hintergrund

Die Europäische Union reagierte im März 2023 auf den vom US-Kongress im August 2022 verabschiedeten „Inflation Reduction Act“, indem sie den EU-Mitgliedsstaaten einen größeren Spielraum für die Gewährung staatlicher Beihilfen für nachhaltige Investitionen im Rahmen des Europäischen Grünen Deals ermöglichte (vgl. dazu unseren Beitrag hier). Diese Entwicklung veranlasste einige Beobachter und politische Entscheidungsträger, von einem „Subventionswettlauf“ um die modernsten und nachhaltigsten Technologien zu sprechen. Um in diesem „Wettlauf“ mithalten zu können, macht die Kommission nun auch verstärkt von einer Möglichkeit Gebrauch, die primärrechtlich im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) angelegt ist, bis vor kurzem aber eher ein „Schattendasein“ fristete: die Genehmigung staatlicher Förderung von „wichtigen Projekten von gemeinsamem europäischem Interesse“ (Important Projects of Common European Interest, IPCEIs). Diese spielen insbesondere im Wasserstoff-Bereich eine wichtige Rolle.

Was ist ein IPCEI?

IPCEIs sind in Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV als Ermessensausnahmetatbestand vom Beihilfenverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV angelegt. Danach können Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden. Der Unionsgesetzgeber hat damit primärrechtlich festgelegt, dass es Vorhaben geben kann, die die Kommission für die Entwicklung des Binnenmarktes bzw. der europäischen Wirtschaft insgesamt als so wichtig erachtet, dass sie den Mitgliedsstaaten entgegen des im AEUV verankerten grundsätzlichen Verbots staatlicher Beihilfen gestatten kann, diese finanziell zu fördern. Die Entwicklung und Nutzung von grünem Wasserstoff ist ein solches Vorhaben. Obwohl es sich bei IPCEIs um Initiativen der Mitgliedsstaaten handelt, stellen sie aufgrund der notwendigen Zusammenarbeit zwischen den Staaten bei ihrer Realisierung „Projekte von europäischer Dimension“ dar, wie der Europäische Rechnungshof in seinem Sonderbericht von 2023 zur EU-Industriepolitik feststellte.

Wasserstoff-IPCEIs

Am 15. Februar 2024 gab die Europäische Kommission die Genehmigung des dritten IPCEI nach den EU-Beihilfevorschriften zur Förderung der Wasserstoffinfrastruktur bekannt. Sieben Mitgliedstaaten haben das Projekt mit dem Titel IPCEI Hy2Infra gemeinsam notifiziert: Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlande, Polen, Portugal und die Slowakei. Es soll die Versorgung mit grünem Wasserstoff fördern, die Abhängigkeit von Erdgas verringern und zur Verwirklichung der Ziele des Europäischen Grünen Deals und des REPowerEU-Plans beitragen.

Das IPCEI Hy2Infra ergänzt zwei bereits zuvor genehmigte IPCEIs zur Wasserstoff-Wertschöpfungskette. Die Kommission genehmigte am 15. Juli 2022 das IPCEI Hy2Tech, das sich auf die Entwicklung von Wasserstofftechnologien für Endverbraucher konzentriert. IPCEI Hy2Use wurde am 21. September 2022 genehmigt und betrifft Wasserstoffanwendungen im industriellen Sektor.

IPCEI Hy2Infra ist erst das fünfte Projekt, das im Rahmen der neuen Mitteilung der Kommission (Mitteilung der Kommission: Kriterien für die Würdigung der Vereinbarkeit von staatlichen Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse mit dem Binnenmarkt (2021/C 528/02), ABl. C 528 vom 20.12.2021, S. 10; IPCEI-Mitteilung) angenommen wurde.

Weitere IPCEIs

Es ist gerade erst ein halbes Jahr her, dass die Kommission ein bedeutendes IPCEI in einem anderen Sektor genehmigt hat. Am 5. Dezember 2023 gab die Europäische Kommission die Genehmigung des ebenfalls von sieben Mitgliedstaaten gemeinsam notifizierten IPCEI Next Generation Cloud Infrastructure and Services bekannt, mit dem die Forschung, Entwicklung und erste kommerzielle Verwertung fortschrittlicher Cloud- und Edge-Computing-Technologien gefördert werden soll. Die Summe der hierbei genehmigten Beihilfen beläuft sich auf rund 1,2 Milliarden Euro. Zu den in den letzten Jahren genehmigten IPCEIs zählen außerdem die auf Batteriezellenforschung gerichteten IPCEI Batteries von 2019 und IPCEI European Battery Innovation (EuBatIn) von 2021, die beide noch unter der bis Ende 2021 gültigen alten Kommissionsmitteilung genehmigt wurden, sowie im Sommer 2023 genehmigte IPCEI Microelectronics.

Unter welchen Bedingungen genehmigt die Kommission die Förderung von IPCEIs?

Die Kriterien für die Ausübung des Ermessens der Kommission bei der Genehmigung werden durch die IPCEI-Mitteilung der Kommission konkretisiert. Die IPCEI-Mitteilung knüpft die Genehmigung solcher Förderungen allerdings an strenge Bedingungen. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die genehmigten Beihilfen das eng auszulegende Kriterium des „gemeinsamen europäischen Interesses“ auch tatsächlich erfüllen und das grundsätzliche Beihilfenverbot des AEUV aus Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht ausgehöhlt wird.

Mit der Mitteilung von 2021 hat die Kommission die Anforderungen für die Genehmigung eines IPCEI im Vergleich zur vorher bestehenden Regelung verschärft. Beispielhaft seien die folgenden Kriterien herausgegriffen:

  • Es müssen an einem IPCEI mindestens vier EU-Mitgliedsstaaten beteiligt sein (unter der alten Mitteilung nur mindestens zwei) und es muss die realistische Aussicht auf positive Effekte für den gesamten Binnenmarkt – also nicht nur für die fördernden Staaten – geben (Rn. 16 der IPCEI-Mitteilung). Anderen Mitgliedsstaaten muss im Vorfeld die Beteiligung angeboten werden (Rn. 17).
  • Auch dürfen sich die positiven Auswirkungen nicht auf die Unternehmen bzw.  Wirtschaftszweige beschränken, denen die finanzielle Förderung unmittelbar zugutekommt, sondern müssen auch Spill-over-Effekte mit sich bringen. Unter einem Spill-over-Effekt versteht man positive Auswirkungen, die eine bestimmte Entwicklung in benachbarten, nicht unmittelbar betroffenen Bereichen hat. Im Zusammenhang von IPCEIs ist also gemeint, dass die Beihilfe nicht nur dem geförderten Projekt nutzt, sondern einen „breiteren Nutzen in der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft“ (Rn. 18) entfaltet. Unter der vor 2021 geltenden Mitteilung war dieses Kriterium noch nicht zwingend.
  • Auch dürfen die Mitgliedsstaaten nicht die vollständige Finanzierung der Vorhaben übernehmen; von den Unternehmen wird ein „erheblicher Kofinanzierungsbeitrag“ erwartet (Rn. 19). In der alten Mitteilung war insoweit nur von einer „Kofinanzierung durch den Empfänger“ die Rede.
  • IPCEIs müssen – sofern sie auf Projekte im Bereich Forschung, Entwicklung und Innovation abzielen – auf solche Vorhaben beschränkt sein, die besonders innovativ sind oder einen „wesentlichen Mehrwert“ im Vergleich zum derzeitigen Stand der Technik darstellen (Rn. 22). In der Mitteilung von 2021 heißt es zudem in einer Fußnote, dass hierunter zwar auch Projekte zur Erreichung des Stands der Technik fallen können, sofern das Vorhaben letztlich glaubwürdig darauf abzielt, den weltweiten Stand der Technik zu übertreffen („go beyond such state of the art“)
  • Sind alle diese Kriterien erfüllt, steht die Gewährung der Beihilfen ferner unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit und Angemessenheit, was insbesondere heißt, dass die erhofften positiven Auswirkungen nicht auch ohne die staatliche Unterstützung eintreten würden (Rn. 30 ff.). Damit ist insbesondere gemeint, dass das Projekt ohne staatliche Förderung über seine gesamte Lebensdauer nicht genug Gewinn abwerfen würde, um für die beteiligten Unternehmen eine lohnenswerte Investition darzustellen. Um dies nachzuweisen, müssen die Mitgliedsstaaten, die die Beihilfe ausschütten wollen, in einem „kontrafaktischen Szenario“ ausführlich darlegen, wie sich die Unternehmen ohne die Beihilfe verhalten würden. Die Höhe der Beihilfen muss sich an der Höhe der nachgewiesenen Finanzierungslücke orientieren und die durch die Beihilfen bedingte Wettbewerbsverzerrung muss durch die positiven Auswirkungen des geförderten Projekts aufgewogen werden.

Fazit und Ausblick

Wenn die Anforderungen der IPCEI-Mitteilung erfüllt sind, ermöglichen IPCEI leistungsstarke Finanzierungsinstrumente, die einen neuartigen Sektor mit technologischen Innovationen voranbringen können. Der Gesamtfinanzierungsbetrag des IPCEI Hy2Tech beträgt beispielsweise 5,4 Milliarden Euro. Gleichzeitig sind die Hürden für die Genehmigung hoch. Die erfolgreiche Notifizierung eines IPCEI erfordert komplexe grenzüberschreitende Abstimmungsprozesse für nationale Förderprogramme und stellt die Mitgliedstaaten vor eine erhebliche Darlegungslast, um nachzuweisen, dass die vorgesehenen Empfänger die Voraussetzungen für eine Förderung erfüllen. Die Kriterien der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit setzen auch dem Umfang der möglichen Förderung Grenzen.

Die strengen Anforderungen gelten nicht nur für die Mitgliedstaaten, sondern auch für die Unternehmen, die eine Förderung beantragen. Dies führt zu langwierigen Genehmigungsverfahren, die wiederum aufgrund des komplexen bürokratischen Prozesses abschreckend wirken können, insbesondere, wenn gleichzeitig separate Genehmigungsverfahren für EU-Fördermittel zu durchlaufen sind. Dies war einer der Gründe, warum Tesla eine Förderung durch das kürzlich genehmigte IPCEI EuBatIn für sein Werk im brandenburgischen Grünheide im Jahr 2021 abgelehnt hat. Es bestehen auch Bedenken hinsichtlich der gerechten Verteilung der IPCEI-Mittel. In seinem Sonderbericht über die Industriepolitik im Batteriesektor kritisierte der Rechnungshof, dass über 80 % der Mittel aus den IPCEI-Programmen IPCEI EuBatIN und IPCEI Batteries nur drei Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich und Italien) zugutegekommen sind. Nach Ansicht des Rechnungshofs werden die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Produktionsinfrastruktur und damit die Bedingungen für den Zugang zu diesen öffentlichen Mitteln in den IPCEI-Verfahren nicht ausreichend berücksichtigt.

Das Ziel, über IPCEIs EU-Initiativen wie den Europäischen Grünen Deal oder das Next Generation EU-Programm zu fördern, wurde 2021 in die IPCEI-Mitteilung neu aufgenommen. Die Betonung einer „krisenfesteren und souveränen Wirtschaft“ wiederum lässt deutlich erkennen, dass die Kommission das Ziel der Entflechtung der europäischen Wirtschaft von globalen Risiken, das im Kontext des Ukraine-Krieges enorm an Bedeutung gewonnen hat, auch im Beihilfenrecht konsequent verfolgt (vgl. dazu unsere Beiträge hier und hier). Die besondere Hervorhebung des „Beitrag[s] zur europäischen Wissenschaftsgemeinschaft“ könnte zudem darauf hindeuten, dass die Kommission ihre Entscheidung auf das oben erwähnte Kriterium einer Innovation über den derzeitigen Stand der Technik hinaus als erfüllt ansieht. In diesem Licht haben zukünftige IPCEIs besonders gute Chancen auf Genehmigung, wenn sie sich in bestehende EU-Förderprogramme einfügen und dabei helfen, den europäischen Binnenmarkt von ausländischen Produkten und Dienstleistungen unabhängiger zu machen, z.B. indem sie technologische Lücken zu anderen Märkten schließen bzw. Vorsprünge zu diesen schaffen.

Inwieweit der mit IPCEIs notwendigerweise verbundene – und mit der Mitteilung von 2021 noch einmal gestiegene – bürokratische Aufwand und Verteilungskonkurrenz auch im Bereich rund um das Thema grüner Wasserstoff zwischen den Mitgliedsstaaten Hindernisse für den Erfolg dieser Strategie darstellen werden, bleibt abzuwarten.

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