Juni 2024 Blog

Zu den Darlegungspflichten im Rahmen der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit 

Stand in Anfechtungsrechtsstreiten mit dem Insolvenzverwalter bisher die Frage der Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit im Fokus, so geht es in neueren Entscheidungen verstärkt um die Frage, ob die spätere Insolvenzschuldnerin überhaupt mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelte. Die bisherige Rechtsprechung ging davon aus, dass es hierfür genügte, dass der Insolvenzverwalter nachwies, dass im Zeitpunkt der anfechtbaren Zahlungen offene Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Eröffnung des Verfahrens nicht mehr ausgeglichen worden sind. Mit einem neuen Urteil weist er nun darauf hin, dass dieser Tatsachenvortrag nur noch in Ausnahmefällen genügt.

Sachverhalt

Die spätere Insolvenzschuldnerin war mit drei Flugzeugen als Charter-Fluggesellschaft für Reiseveranstalter tätig. Sie führte Flüge von verschiedenen deutschen Flughäfen durch. Vor jedem Flug durchsuchten Beamte der Bundespolizei Fluggäste und deren Gepäck. Dafür erhob die für den jeweiligen Flughafen zuständige Bundespolizeidirektion Gebühren nach dem Luftsicherheitsgesetz. Die spätere Insolvenzschuldnerin zahlte Luftsicherheitsgebühren in einer sechsstelligen Größenordnung nicht. Die Rückstände wuchsen dabei zwischen August und Oktober 2014 an. Das Berufungsgericht hatte, zumindest im Einklang mit der Rechtsprechung des IX. Zivilsenates vor Mai 2021, die Zahlungsunfähigkeit und damit den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz angenommen und die beklagte Behörde zur Zahlung verurteilt.

Entscheidung 

Nicht so der BGH. Dieser hielt den Sachverhalt nicht für ausreichend ermittelt und hat die Sache weitestgehend zurückverwiesen. Er stellt dabei klar, dass ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nur ausnahmsweise (allein) mit dem Vorliegen von hohen Verbindlichkeiten begründet werden kann. Dazu müssen die Verbindlichkeiten nach Art, (Gesamt-)Höhe, Anzahl und Bedeutung so beschaffen sein, dass aus der Sicht zum Zeitpunkt der anfechtbaren Zahlung für jeden objektiven Betrachter in der Position des Schuldners selbst bei optimistischer Betrachtung unzweifelhaft klar sein muss, diese würden nicht mehr vollständig befriedigt. Das kommt etwa Betracht, wenn es sich um Verbindlichkeiten handelt, welche die erwartbare Schuldendeckungsfähigkeit des Schuldners offensichtlich bei weitem übersteigen. Es muss sich um Verbindlichkeiten handeln, welche aus der Sicht ex ante für sich genommen und ohne nähere Betrachtung des liquiden Vermögens sowie der künftigen Geschäftsentwicklung einen wirtschaftlichen Zusammenbruch des Schuldners zur Folge haben und diesen in ein Insolvenzverfahren führen mussten. Im konkreten Fall konnte davon nicht ausgegangen werden, da die spätere Insolvenzschuldnerin derartige Rückstände immer wieder ausgeglichen hatte.

Liegen solche Verbindlichkeiten nicht vor, so hat der Insolvenzverwalter nunmehr auch im Anfechtungsprozess eine Liquiditätsbilanz aufzustellen. Dabei ist in einem ersten Schritt das liquide Vermögen ins Verhältnis zu den Verbindlichkeiten zu stellen. In einem zweiten Schritt ist dann zu überprüfen, ob die bei selbst optimistischer Betrachtung mögliche Entwicklung dazu führt, dass der vollständige Ausgleich der offenen Verbindlichkeit erwartet werden kann. Hierbei sei nach Auffassung des BGH zu berücksichtigen, dass insbesondere Gläubiger mit hohen Forderungen regelmäßig zu Zugeständnissen in Form von Stundungen, Ratenzahlungen oder sogar Teilerlassen bereit sind, um jedenfalls eine Teilrealisierung ihrer Forderungen außerhalb des Insolvenzverfahrens zu erreichen. Kommt es hierbei zu Unsicherheiten, so trägt der Insolvenzverwalter dieses Risiko, da er darlegungs- und beweisbelastet ist. 

Praxishinweis

Das Urteil dürfte eine fast noch größere Auswirkung auf die Anfechtungspraxis haben, als das Urteil vom 06. Mai 2021(wir berichteten). Denn nunmehr stellt der BGH klar, dass hohe Verbindlichkeiten als Anzeichen für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz fast nie mehr ausreichen werden (anders hingegen für die Darlegung der Zahlungsunfähigkeit etwa im Rahmen eines Anfechtungsprozesses nach § 131 InsO). Ist dieser Umstand hinnehmbar und führt zu einer Art Waffengleichheit im Anfechtungsprozess, wird es abzuwarten bleiben, wem der Hinweis auf die „bei optimistischer Betrachtungsweise erwartbare“ Liquiditätsentwicklung nutzt. Einerseits vergrößert sich natürlich das Prozessrisiko des Insolvenzverwalters, andererseits darf nicht unterschätzt werden, dass es auch für den Anfechtungsgegner nunmehr kaum vorhersehbar sein wird, wie ein solcher Prozess letztendlich endet. Nicht nur die Instanzgerichte, auch die Prozessbevollmächtigten dürften mit dieser Anforderung schlicht überfordert sein. Es steht zu hoffen, dass der Senat in zukünftigen Entscheidungen der Praxis Auslegungshilfen an die Hand gibt, welche Kriterien an eine „optimistische“ Betrachtungsweise anzulegen sind. Eine Zulassung der Revision sollte generell in Prozessen erfolgen, in denen es auf die optimistische Betrachtungsweise ankommt.

(BGH, Urteil vom 18. April 2024 – Az. IX ZR 239/22)

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