Juli 2024 Blog

​​​​​​​Anfechtbarkeit von Haupt­ver­samm­lungs­be­schlüssen bei Handy- und Laptopverbot

Soweit nicht von einer Satzungsbestimmung gedeckt, führt nach Auffassung des Kammergerichts das Verbot, in den Abstimmungssaal der aktienrechtlichen Hauptversammlung Handys und Laptops mitzuführen, zur Anfechtbarkeit der dort gefassten Beschlüsse.

Sachverhalt

Ohne dass ein solches Vorgehen von einer Satzungsregelung der beklagten Aktiengesellschaft („Gesellschaft“) gedeckt worden wäre, fand sich in deren Einladung zur Hauptversammlung folgender Hinweis:

„Zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Hauptversammlung und zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Aktionäre werden Bild- und Tonaufnahmen während der Hauptversammlung nicht gestattet sein. Geräte, die sich zur Bild- oder Tonaufnahme eignen, dürfen von den Aktionären nicht mitgeführt werden. Am Eingang wird eine Einlasskontrolle durchgeführt werden.“

Die Gesellschaft bot am Ort der Hauptversammlung abschließbare Spinde zur Aufbewahrung u. a. von untersagten Gegenständen an. Im Versammlungssaal stellte sie den Teilnehmern einen PC mit Internetzugang zur freien Nutzung zur Verfügung und wies hierauf durch Beschilderung hin. Der Ton der Hauptversammlung aus dem Versammlungsraum wurde über Lautsprecher in den Eingangsbereich übertragen. Dort war die Nutzung von Handys und Laptops gestattet. Des Weiteren wies die Gesellschaft Aktionäre darauf hin, dass man wichtige Anrufe für sie unter der Telefonnummer entgegennehme. Am Tag der Hauptversammlung bekräftigte der Versammlungsleiter das Verbot.

Entsprechend wurde u.a. den Klägern zu 1) bis 9), allesamt Aktionäre der Gesellschaft, der Zutritt zum Versammlungsraum verwehrt, nachdem diese sich geweigert hatten, bei der Einlasskontrolle ihre Mobiltelefone und Laptops abzugeben. Die Kläger nahmen daraufhin nicht an der Hauptversammlung teil.

In der Versammlung wurden die in der Einladung angekündigten Beschlussanträge, insbesondere zu TOP 8–10 mehrheitlich angenommen. Die Kläger zu 1) bis 9) haben u.a. hiergegen Beschlussmängelklage erhoben. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und dies Beschlüsse für nichtig erklärt. Die Berufung der Gesellschaft blieb erfolglos.

Entscheidung des Oberlandesgerichts

Nach Auffassung des Kammergerichts wurden die Kläger durch die angegriffene Maßnahme in ihrem Teilnahmerecht gemäß § 118 AktG verletzt. Das Verbot der Teilnahme an der Hauptversammlung ausschließlich ohne das Mitführen bestimmter privater Endgeräte entspreche vorliegend einem allgemeinen Teilnahmeverbot. Dies stelle einen Anfechtungsgrund im Sinne des § 243 Abs. 1 AktG dar. Dies deshalb, weil das Mitführverbot unstreitig nicht von der Satzung und auch nicht von der Ordnungsbefugnis des Versammlungsleiters gedeckt worden sei. Entsprechend seien die Beschlüsse zu TOP 8 - 10 vom Landgericht zurecht gemäß § 248 AktG für nichtig erklärt worden.

Ordnungsbefugnis versus Eigentumsrecht

Ordnungsmaßnahmen seien danach zulässig, wenn sie sachlich erforderlich sind, weil sonst das Recht aller Aktionäre auf ordnungsgemäße Behandlung der Versammlungsgegenstände nicht gewahrt wäre, und wenn sie verhältnismäßig sind, also in das Teilnahme- und Stimmrecht des Aktionärs möglichst schonend eingreifen. Die Ordnungsaufgabe des Versammlungsleiters sei jedoch nicht darauf gerichtet, die Rechtsordnung an sich durchzusetzen und Rechtsverstöße zulasten anwesender Dritter präventiv  zu verhindern, sondern an ihrem Zweck zu messen, nämlich den ordnungsgemäßen Verlauf der Hauptversammlung sicherzustellen. Entsprechend gelte auch das Teilnahmerecht der Aktionäre nicht schrankenlos, sondern finde seine Grenzen in der Befugnis des Versammlungsleiters, die Hauptversammlung ordnungsgemäß abzuwickeln. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe habe das Landgericht das Verbot jedoch zutreffend als unverhältnismäßig angesehen.

Unverhältnismäßigkeit im engeren Sinne

Zwar verfolge das Verbot einen legitimen Zweck, nämlich zu verhindern, dass heimlich oder offen Aufzeichnungen der Hauptversammlung und damit der anderen anwesenden Personen erfolgen. Auch sei es geeignet, diesen Zweck zumindest zu fördern, was rechtlich ausreiche.

Das Verbot stehe jedoch außer Verhältnis zum verfolgten Zweck. Die erforderliche Abwägung zwischen dem aus dem Eigentumsrecht des Art. 14 GG folgenden Teilnahmerecht der Aktionäre einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der übrigen Anwesenden, welches in seiner Ausprägung als Recht am eigenen Bild und Recht am eigenen Wort sowohl gegen unerlaubte Ton- als auch Bildaufzeichnungen schütze, falle daher zugunsten der Kläger aus.

Kein Eingriff in die Privatsphäre

Anders als die beklagte Gesellschaft argumentiert hatte, sei bereits kein Eingriff in die Privatsphäre als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu befürchten mit der Folge eines strengeren Maßstabs für die Zulassung von Eingriffen und einer höheren Wertung im Rahmen der Abwägung der Verhältnismäßigkeit. Dieser Bereich sei erkennbar nicht betroffen, wenn Aktionäre an einer Versammlung einer Aktiengesellschaft teilnehmen. Potentiell betroffen sei lediglich die Sozialsphäre, die der Teilhabe des Grundrechtsträgers am öffentlichen Leben zuzuordnen sei und naturgemäß Abstufungen kenne.

Lediglich abstrakte Gefahr

Bei der Abwägung sei zudem zu beachten, dass lediglich die abstrakte Gefahr einer Rechtsverletzung bestanden habe: Eine konkrete Gefahr hatte die Gesellschaft weder darlegen noch beweisen können.

Keine Schutzlosigkeit

Auch seien die betreffenden Grundrechtsträger im Falle eines Verstoßes gegen das Aufzeichnungsverbot nicht schutzlos gestellt. So werde das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Hinblick auf zahllose denkbare Verletzungsmöglichkeiten mit einem reaktiven Schutz versehen, indem dem betroffenen Rechtsträger Rechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten ermöglicht und Verletzungen durch Schadensersatzansprüche, Schmerzensgeldansprüche und mit dem scharfen Schwert des Strafrechts geahndet würden.

Schutzwürdigkeit der Kläger

Auf der anderen Seite sei dagegen zu beachten, dass das Verbot die schützenswerten Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre erheblich beeinträchtige. Das Verbot führe dazu, dass z. B. Aktionärsvertreter keine Rücksprache mit ihren Prinzipalen halten können, ohne den Versammlungsaal zu verlassen. Das Verbot von Notebooks oder Tablets beschränke zudem die Arbeitsfähigkeit der Aktionäre erheblich. Allgemein sei eine effektive Teilnahme an einer Hauptversammlung heutzutage nicht ohne Nutzung von Notebooks, Mobiltelefonie oder Tablets sinnvoll möglich. Diese erst ermöglichten einen schnellen Zugriff auf alle Unterlagen sowie eine Volltextsuche und ließen die parallele Befassung mit sonstigen Anforderungen zu. Auch gehe es bei der Möglichkeit, via Mobiltelefon gegebenenfalls nicht nur telefonisch, sondern auch über sonstige Nachrichtenkanäle (SMS, Messengerdienste) zu kommunizieren, nicht nur darum, für Dritte erreichbar, sondern auch sendefähig zu sein, d. h. seinerseits nach außen kommunizieren zu können, um sich gegebenenfalls als Aktionärsvertreter mit dem Prinzipal abzustimmen.

Anmerkungen

Auch wenn die Entscheidung des OLG maßgeblich von den konkreten Gegebenheiten der dortigen Hauptversammlung bzw. der Quantität und Qualität der dort angekündigten Beschlussvorschläge geprägt sein dürfte, erscheint die Begründung des Gerichts doch mehr als nachvollziehbar.

Beeinträchtigung des Stimmrechts

Denn das Gericht zeigt in den tragenden Begründungssträngen ganz praktisch auf, dass und wie empfindlich die Handlungsoptionen von Aktionären bzw. Aktionärsvertretern beschnitten werden, wenn sie im Versammlungssaal keinen Zugriff auf ihre elektronischen Kommunikationsmittel. Nicht nur aber gerade bei unvorhergesehenen Verläufen der Hauptversammlung könnte dies ganz real zu massiven Auswirkungen auf die Stimmabgabe führen, etwa wenn nicht rechtzeitig (ggf. per SMS) mit dem Prinzipal Rücksprache gehalten werden kann. Dass in diesem Fall das aus dem Mitgliedschaftsrecht fließende Stimmrecht des Aktionärs entwertet würde, liegt auf der Hand.

Beschneidung der Informationsbeschaffung

Aber auch der im unmittelbaren Vorfeld der Stimmabgebe durch elektronische Geräte vermittelte Zugriff auf zuvor von der Gesellschaft digital bekannt gemachte versammlungsbezogene Unterlagen dürfte – nicht nur angesichts der aktienrechtlichen Gesetzeslage – mittlerweile zum „Kernbereich“ der Aktionärsrechte im Rahmen der Hauptversammlung zählen. Man denke nur an den Abruf der gemäß §§ 121 Abs. 3 Nr. 4, 124a AktG auf der Internetseite einer börsennotierten Gesellschaft zugänglich zu machende Informationen oder die auch vom OLG angesprochene Möglichkeit, digitale Dateien mittels Volltextsuche auf bestimmte Themen hin durchsuchen zu können. Vor diesem Hintergrund ist angesichts des von der Gesellschaft ausgesprochenen Mitführungsverbots nachvollziehbar, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht der übrigen Aktionäre bzw. Aktionärsvertreter – zumal potentiell lediglich in der Sozialsphäre betroffen – nicht überwiegen kann.

Schutz vor unerlaubten Ton- und Bildaufnahmen in der Hauptversammlung

Gleichwohl hält das OLG das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch mit Blick auf einen Eingriff “lediglich“ in die Sozialsphäre durchaus für schützenswert. Denn es äußert in einer Art Hilfsbegründung bereits massive Zweifel an der Erforderlichkeit des Mitführungsverbots. Denn es gebe mittlerweile frei erhältliche Mikrofon- und Kamerablocker. Daher habe es wohl durchaus auch weniger einschneidende Wege gegeben, die Sozialsphäre zu schützen als das Mitführungsverbot.

Übertragbarkeit auch auf sonstige Gesellschaftsformen

Dass Aktionäre auch im Rahmen einer Hauptversammlung vor unerlaubten Ton- und Bildaufnahmen zu schützen sind, dürfte im Übrigen verallgemeinerungsfähig sein und beispielsweise auch für Mitglieder in Gesellschafterversammlungen von Kapital-, Person(handels)- oder Partnerschaftsgesellschaften gelten: Warum diese – in Ermangelung einer Satzungsbestimmung – ohne ihre Einwilligung derartige Aufnahmen und gegebenenfalls ihre Veröffentlichung in sozialen Medien sollten dulden müssen, erschließt sich nicht.

Ausblick

Da allerdings in Rechtsprechung und Literatur eine faktische Teilnahmeuntersagung wie vorliegend, soweit ersichtlich, bislang kaum behandelt wurde, darf mit Spannung der Ausgang der Revision der beklagten Gesellschaft abgewartet werden, welche beim BGH unter dem Az. II ZR 24/24 anhängig ist.

(KG Urteil vom 26.1.2024 – 14 U 122/22)

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