Auslandsverfahren vermeiden durch „Torpedoklagen“
Bereits durch die Wahl des Gerichts mit Erhebung einer Klage können in einigen Fällen das Ergebnis beeinflusst und Kosten reduziert werden. Beispiele:
- Anspruchsschreiben eines ausländischen Verbrauchers oder einer Verbraucherin direkt an den deutschen Hersteller
- Ladung des deutschen Herstellers zu einem Beweisverfahren vor französischen Gerichten, mit welchem die Partei am Ende der Lieferkette Direktansprüche sichern will
Das Internationale Zivilverfahrensrecht (IZVR) bietet vielfach eine Auswahl an zuständigen Gerichten. Neben dem grundsätzlich zuständigen Gericht am Beklagtensitz kann etwa in vertraglichen Streitigkeiten ein Gerichtsstand am Erfüllungsort oder in außervertraglichen Streitigkeiten ein Gerichtsstand am Deliktsort gegeben sein, letzterer sogar in zweifacher Form: dem Handlungsort und dem Erfolgsort. Hierüber hat der „schnellere“ Kläger die Möglichkeit, das Verfahren in das von ihm bevorzugte Land (etwa an seinen Sitz) zu ziehen.
Durch die Vereinheitlichung des Europäischen Zivilverfahrensrechts ist gesichert, dass die zuerst erhobene Klage Priorität hat (wenn sie nicht gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung verstößt) und das Urteil in den übrigen Mitgliedstaaten anerkannt wird. Das bedeutet, dass mit der zuerst erhobenen Klage vielfach festgelegt wird, in welchem Land über die Ansprüche entschieden wird. Eine nochmalige Entscheidung durch die Gerichte des anderen Mitgliedstaats ist ausgeschlossen.
Ebenfalls vereinheitlicht ist das Internationale Privatrecht (IPR), insbesondere über die Rom I-VO (VO (EG) 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht) und die Rom II-VO (VO (EG) 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht). Allerdings ist die einheitliche Anwendung nicht immer gesichert. Gerichte sind oftmals geneigt, Argumente zur Anwendung ihres Heimatrechts durchschlagen zu lassen.
Es lohnt sich, schnell zu sein!
Ein Beispiel, in welchem sich die Erhebung einer Klage im Inland bewährt hat, sind Ansprüche von Abnehmern in Frankreich, welche mit dem in Deutschland ansässigen Herstellerin oder Lieferantin in keiner Vertragsbeziehung stehen, da mindestens eine Handelsstufe zwischengeschaltet war. In derartigen Fällen sieht das französische Recht einen Direktanspruch der weiteren Parteien der Lieferkette gegen die Vorverkäufer vor. Deutsche herstellende Unternehmen sehen sich oftmals überraschend Ansprüchen ausgesetzt, die das Volumen des von ihnen gelieferten Teils weit übersteigen.
Der EuGH hat in dieser Hinsicht wichtige Fragen geklärt, die die Strategie absichern. Es besteht ein Gerichtsstand am Ort der Herstellung des Produktes. Sofern es sich also um ein in Deutschland hergestelltes Produkt handelt, kann das herstellende Unternehmen vor dem für den Ort seines Werkes zuständigen Gericht auf Feststellung klagen, dass dem Anspruchsstellenden keine Ansprüche zustehen. Der EuGH hat ferner im Jahr 2017 in der Entscheidung HanseYachts geklärt, dass das in Frankreich typischerweise einem Gerichtsverfahren vorgeschaltete „référé“, ein selbständiges Beweisverfahren, nicht eine Erhebung einer Klage sperrt. Bereits zu diesem Zeitpunkt, in welchem ein deutsches Unternehmen in ein solches Beweisverfahren einbezogen wird, kann es daher angebracht sein, in Deutschland klären zu lassen, dass keine Direktansprüche weiterer Parteien der Lieferkette bestehen.
Praxistipp: Wenn Sie Anspruchsschreiben oder Ladungen zu Verfahren im Ausland erhalten und der Anspruchsteller nicht Ihr Abnehmer ist, nehmen Sie umgehend Kontakt zu uns auf. Wurde das streitige Produkt in Deutschland hergestellt (nicht in einem Werk im Ausland), kann die Situation oftmals kostengünstig im Inland geklärt werden.