Klage in Deutschland kann Verfahren in Frankreich verhindern
Wird ein deutsches Unternehmen von einem französischen Abnehmer in Frankreich in ein vorprozessuales selbständiges Beweisverfahren einbezogen, dass dessen Endabnehmer eingeleitet hat, so empfiehlt sich oftmals einem Prozess in Frankreich durch eine „Torpedoklage“ in Deutschland zuvor zu kommen. In einer aktuellen Entscheidung wurde diese Taktik vom EuGH für zulässig erachtet.
Hintergrund
Viele Unternehmen, die an Zwischenhändler verkaufen, welche Abnehmer in Frankreich haben, sehen sich mit einer Eigenart des französischen Rechts konfrontiert: Durch die action directe kann der Käufer alle Vor-Verkäufer in Anspruch nehmen. Oftmals geht einem Prozess ein gerichtliches Sachverständigenverfahren (référé) voraus. Dies ist die Gelegenheit, die Einbeziehung in das spätere Hauptsacheverfahren durch eine schnell in Deutschland eingereichte negative Feststellungsklage zu verhindern.
Aktuelle Entscheidung EuGH
Der EuGH hat nunmehr den zeitlichen Vorrang einer negativen Feststellungsklage bestätigt, die vom Hersteller in Deutschland eingereicht wurde, nachdem in Frankreich vom Endkunden ein vorprozessuales Beweisverfahren gegen den Zwischenhändler begonnen wurde, in welches auch der Hersteller einbezogen wurde. Der deutsche Hersteller HanseYachts AG hatte eine Yacht an einen französischen Händler verkauft. Dieser wurde in der Folge von seinem Abnehmer in Frankreich in Anspruch genommen. In Frankreich wird oftmals vor Beginn des eigentlichen Hauptsacheverfahrens ein Beweisverfahren durchgeführt, welches in einem verbindlichen Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen endet. In dieses Beweisverfahren hatte der Zwischenhändler den Hersteller HanseYachts einbezogen.
Um einem Hauptsacheverfahren in Frankreich zu entgehen, erhob HanseYachts sodann eine negative Feststellungsklage in Deutschland. Durch das Europäische Zivilprozessrecht (Brüssel Ia-Verordnung, bzw. zuvor Brüssel I-Verordnung) ist geregelt, dass dieselbe Streitfrage nicht gleichzeitig vor Gerichten in verschiedenen Mitgliedstaaten verhandelt werden darf. Erklärt sich das zuerst angerufene Gericht für zuständig, müssen später angerufene Gerichte in anderen Mitgliedstaaten das Verfahren einstellen. Der EuGH hat nun bestätigt, dass das Beweisverfahren des französischen Prozessrechts (référé) nicht als Verfahren in diesem Sinne anzusehen ist. Durch Einleitung des Beweisverfahrens wird daher nicht die Klageerhebung in einem anderen Mitgliedstaat aufgrund anderweitiger Rechtshängigkeit verhindert.
Hinweise für die Praxis
Diese Maßnahme der negativen Feststellungsklage (auch „Torpedoklage“ genannt, da das spätere Verfahren im anderen Mitgliedstaat torpediert wird) empfiehlt sich oftmals für den deutschen Hersteller, da die deutschen Gerichte dem französischen Endkunden regelmäßig keinen Direktanspruch zusprechen werden, da es einen solchen nach in Deutschland anwendbarem Recht nicht gibt. Der Direktanspruch des Endkunden gegen den Hersteller ist oftmals auf den vom Endkunden an den Zwischenhändler gezahlten Kaufpreis zuzüglich erheblicher Schadensersatzbeträge gerichtet. Dies kann sogar Zulieferer von Einzelteilen treffen, die plötzlich auf Rückzahlung des Gesamtpreises für eine Anlage verklagt werden, in die das von ihnen gelieferte Teil eingebaut wurde. Diesem Anspruch kann durch ein Verfahren in Deutschland oftmals begegnet werden. Auch sind die Verfahrensführung und -kosten überschaubarer sowie kalkulierbarer. Die Verfahren in Deutschland enden oft mit einem Versäumnisurteil. Die Prozesskostenentscheidung kann in Frankreich ohne Notwendigkeit einer dortigen Vollstreckbarerklärung gegen die Beklagten vollstreckt werden. Mit dieser Abwehrmaßnahme haben wir bereits gute Erfahrungen gemacht und beraten Sie bei Bedarf gerne.
EuGH, Urteil vom 04.05.2017 - C-29/16
Dr. Philine Fabig, Rechtsanwältin,
Wolf Müller, Rechtsanwalt
beide Hamburg