März 2023 Blog

Turbo für Erneuerbare Energien – Auswirkungen der EU-Notfallverordnung für Genehmigungsverfahren in Deutschland

Der europäische Gesetzgeber hat eine weitere Reform auf den Weg gebracht, die zu einer Straffung der Planungsvorhaben rund um die Erneuerbaren Energien führen soll. 

Die Beschleunigung von behördlichen Zulassungsverfahren ist zurzeit in aller Munde. Auch GvW berichtete bereits; etwa über die Reform der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren im Infrastrukturbereich oder über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Beschleunigung der Bauleitplanung durch Digitalisierung

Bei der nun auf den Weg gebrachten weiteren Reform handelt es sich um die am 22. Dezember 2022 vom Rat der Europäischen Union (EU) verabschiedete Verordnung 2022/2577 zur Festlegung eines Rahmens für einen beschleunigten Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien, die sogenannte EU-Notfallverordnung. Sie beinhaltet vielfältige und umfassende Neuerungen zur Straffung der Zulassungsverfahren für Anlagen zur Erzeugung Erneuerbarer Energien. Innerhalb kürzester Zeit hat die Notfallverordnung eine bedeutende Aufmerksamkeit auf sich gezogen und der Diskussion über das Verhältnis zwischen Verfahrensbeschleunigung und Umweltschutz nach Erlass des Osterpakets im Frühjahr 2022 noch einmal neuen Auftrieb gegeben. 

Hintergrund 

Seit Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine gehört es zu den primären Zielen der Europäischen Union, die Abhängigkeit vieler Mitgliedstaaten von fossilen Brennstoffen aus Russland so schnell wie möglich zu beenden. Zu diesem Zweck hat die Europäische Kommission im November 2022 einen Vorschlag zur Umsetzung kurzfristiger Maßnahmen zur Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien vorgestellt. Schon wenige Wochen später erließ der Rat ohne Beteiligung des Europäischen Parlaments die EU-Notfallverordnung als Dringlichkeitsmaßnahme im besonderen Gesetzgebungsverfahren nach Art. 122 AEUV. 

Regelungsinhalt der EU-Notfallverordnung

In der Verordnung werden Notfallvorschriften festgelegt, um die Verfahren zur Erteilung von Genehmigungen zur Erzeugung Erneuerbarer Energien kurzfristig voranzutreiben. Ihre Geltung ist zunächst auf 18 Monate befristet.

1.  Abwägungsvorrang für Erneuerbare Energien
So führt der europäische Gesetzgeber – ähnlich wie der nationale Gesetzgeber bereits in § 2 Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) – etwa einen Abwägungsvorrang ein, nach dem der Ausbau der Erneuerbaren Energien im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit dient. 

2.  Höchstfristen für Genehmigungsverfahren
Darüber hinaus wird für das Verfahren zur Genehmigung des Repowerings einer Anlage, d.h. der Erneuerung durch das Ersetzen älterer Anlagenteile durch moderne und leistungsfähigere Komponenten, eine Höchstfrist von sechs Monaten eingeführt. Das Genehmigungsverfahren darf also nicht länger als sechs Monate dauern, einschließlich etwaiger Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP-Prüfung). Dabei bleibt allerdings offen, zu welchen Konsequenzen eine Überschreitung dieser Frist führen soll. 

Auch für die Genehmigung von Solarenergieanlagen wird eine solche Höchstfrist festgesetzt. Diese Verfahren müssen nunmehr innerhalb von drei Monaten bearbeitet werden, wenn das Hauptziel der Anlagen nicht in der Erzeugung von Solarenergie besteht. Für Solarenergieanlagen mit einem geringen Leistungsvermögen (Kapazität bis höchstens 50 kW) wird die Erteilung einer Genehmigung zukünftig sogar fingiert, wenn die zuständige Behörde innerhalb eines Monats nach Antragstellung keine Antwort übermittelt hat. 

3.  Verzicht auf UVP und artenschutzrechtliche Prüfung
Die wohl aufsehenerregendste Neuerung dürfte jedoch aus Art. 6 der EU-Notfallverordnung folgen. Nach dieser Regelung können die Mitgliedstaaten für Projekte im Bereich der Erneuerbaren Energien von der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) sowie von artenschutzrechtlichen Prüfungen absehen. Voraussetzung für den Verzicht auf die Prüfungen ist, dass das Vorhaben in einem von den Mitgliedstaaten ausgewiesenen Gebiet liegt und dieses Gebiet einer strategischen Umweltprüfung unterzogen worden ist. Da es den Mitgliedstaaten freisteht, diese Verfahrenserleichterung national zur Anwendung zu bringen, ist sie – ungeachtet der Rechtsnatur der grundsätzlich unmittelbar anwendbaren Verordnung – erst nach einer Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber anwendbar. In Deutschland erfolgt dies durch das bereits vom Bundestag am 3. März 2023 verabschiedete Gesetz zur Änderung des Raumordnungsgesetzes (ROG) und anderer Vorschriften. Zukünftig ordnen § 43m n. F. Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), § 6 n. F. Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG) und § 72a n. F. Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG) an, dass sowohl eine UVP als auch eine artenschutzrechtliche Prüfung nach § 44 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) bei Verfahren zur Genehmigung von Höchstspannungsleitungen und Windenergieanlagen unterbleiben. Die Geltung der Ausnahmevorschriften ist bis zum 30. Juni 2024 befristet. Höchstspannungsleitung und Windenergieanlagen, für die ein Genehmigungsantrag bereits gestellt worden ist oder noch bis zum 30. Juni 2024 gestellt wird, sind also ohne vorherige Durchführung einer UVP und artenschutzrechtlichen Prüfung zu genehmigen, wenn sie in einem ausgewiesenen Gebiet liegen, für das eine strategische Umweltprüfung durchgeführt worden ist. 

Kritik und Ausblick

Auf nationaler Ebene ist bereits mit dem Osterpaket ein neuer Trend der Beschleunigungsgesetzgebung eingeläutet worden. Danach beschränkt der Gesetzgeber sich nicht mehr auf eine Anknüpfung an verfahrenstechnische Regelungen (z.B. Fristverkürzungen, Kompetenzbündelungen, Verkürzung des prozessualen Instanzenzugs) zur Beschleunigung von Planungsverfahren. Vielmehr greift er nunmehr auch in die materiell-rechtlichen Zulassungsvoraussetzungen von Vorhaben ein. Durch die Verringerung des Prüfungsumfangs, insbesondere im Bereich des Umwelt- und Naturschutzrechts, sollen Genehmigungsverfahren gestrafft und verkürzt werden. Diesen Trend setzt der europäische Gesetzgeber mit der EU-Notfallverordnung fort. 

Die umfangreichen und komplexen materiell-rechtliche Anforderungen, die an die Zulassung von Anlagen gestellt werden, sind in der Vergangenheit immer wieder als maßgeblicher Aspekt für die Entstehung von Verfahrensverzögerungen angeführt worden. In der Tat dürfte insbesondere der Verzicht auf die Umweltverträglichkeits- und artenschutzrechtliche Prüfung einen erheblichen Beschleunigungseffekt haben. Streitbar ist allerdings, ob die verkürzte Prüfung insbesondere im Hinblick auf den Umwelt-und Naturschutz zu begrüßen ist. So ist bereits kritisiert worden, dass durch ein Absehen von Umweltverträglichkeitsprüfungen die Risiken für die Umwelt in einem nicht zu rechtfertigenden Ausmaß anstiegen. 

Vor dem Hintergrund des kurzen Geltungszeitraums der Verordnung stellt sich allerdings die Frage, wie groß die Anzahl der Vorhaben tatsächlich sein wird, die letztlich von den umstrittenen Verfahrenserleichterungen profitieren werden. Für diejenigen Vorhaben, für die ein Zulassungsantrag bereits gestellt worden ist oder unmittelbar bevorsteht, dürften die Prüfungen bereits vollständig vorbereitet worden sein, sodass der Beschleunigungseffekt sich allenfalls minimal auswirken dürfte. Andere Vorhaben dürften wiederum noch so weit von einer Antragstellung entfernt sein, dass fraglich ist, ob diese noch vor Juli 2024 erfolgen kann. Denn nicht nur die Vorbereitung der UVP- und artenschutzrechtlichen Prüfung, sondern auch die weiteren Planungen nehmen regelmäßig Jahre in Anspruch. Für Windenergieanlagen kommt hinzu, dass die Windenergiegebiete, in deren Bereich ein Vorhaben liegen muss, um von den Verfahrenserleichterungen des § 6 n. F. WindBG profitieren zu können, noch gar nicht ausgewiesen sind. Gemäß § 3 WindBG müssen die Länder die Gebiete auch erst bis 2027 bzw. 2032 ausweisen. Die Antragsteller wissen also noch nicht, ob ihr Vorhaben überhaupt in einem Windenergiegebiet liegen wird und von den Verfahrenserleichterungen des § 6 n. F. WindBG profitieren wird.
 
Ob die EU-Notfallverordnung letztlich also zu den erhofften Beschleunigungswirkungen und befürchteten Umweltbeeinträchtigungen führt, bleibt – wie so oft – abzuwarten.

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