Oktober 2024 Blog

Kein Prospektfehler bei fehlenden Anknüpfungstatsachen für im Prospekt enthaltene Prognosen

In Kapitalanlageverfahren werden häufig Prospektfehler mit der Begründung geltend gemacht, der Prospekt enthalte keine oder unzureichende Daten, die zur Erstellung einer eigenen Prognose benötigt würden. Hierzu hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einer jüngst veröffentlichten Entscheidung erfreulich klar Stellung genommen.

Sachverhalt

Die Parteien stritten in einem Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) über die Fehlerhaftigkeit eines Ende 2012 aufgestellten Prospekts eines Containerschiffsfonds (Fonds). Die Musterbeklagte zu 3) war Gründungsgesellschafterin, Anbieterin, Prospektherausgeberin und Hauptvertriebsbeauftragte des Fonds. Der Musterkläger behauptete u.a., dem Prospekt habe es an einer Darstellung aussagekräftiger Orderbuchzahlen gefehlt, so dass es nicht möglich gewesen sei, das konkrete künftige Wachstum an Tonnage und die daraus resultierende weiterwachsende Übertonnage zu erkennen (Feststellungsziel 1.d)).

Daneben wird geltend gemacht, dass die Musterbeklagte zu 3) nach den „Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne“ verpflichtet gewesen sei, bezüglich dieser Prospektfehler aufzuklären, diesbezüglich ihre Pflichten aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis verletzt und diese Pflichtverletzung zu vertreten habe (Feststellungsziel 2.). Zudem wurde Feststellung begehrt, dass u.a. der Musterbeklagten zu 3) aufgrund vorvertraglichen Aufklärungspflichten als Gründungsgesellschafterin den Anlegern gegenüber verpflichtet gewesen sei, über die geltend gemachten Prospektfehler aufzuklären (Feststellungsziel 3.).

Das Oberlandesgericht (OLG) hat durch Musterentscheid vom 30.6.2022 insbesondere das Feststellungsziel 1.d) zurückgewiesen und den Vorlagebeschluss des Landgerichts bezüglich der Feststellungsziele zu 2. und 3. für gegenstandslos erklärt. Hiergegen richteten sich die Rechtsbeschwerden zahlreicher Beigeladener.

Entscheidung des BGH

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat den Rechtsbeschwerden den Erfolg versagt.

Das Feststellungsziel 1.d), wonach im Prospekt eine Darstellung aussagekräftiger Orderbuchzahlen fehle, so dass es nicht möglich sei, das konkrete künftige Wachstum an Tonnage und die daraus resultierende weiterwachsende Übertonnage zu erkennen, sei unbegründet.

Zur Begründung führt der BGH aus, dass es sich bei der für die Wirtschaftlichkeit des Fonds bedeutsamen künftigen Tonnage und Übertonnage um eine Prognose handele. Daher beanstande das Feststellungsziel 1.d) letztlich, dass im Prospekt in Ermangelung aussagekräftiger Orderbuchzahlen eine Anknüpfungstatsache fehle, die für die für die Anlageentscheidung bedeutsame Prognose über die Tonnage der Containerschiffe erforderlich sei. Das Fehlen einer Anknüpfungstatsache für eine für die Anlageentscheidung bedeutsame Prognose aber begründe, so der BGH, dann keinen Prospektfehler, wenn der Prospekt die Prognose selbst enthält.

Dies aber sei nach den zutreffenden Feststellungen des OLG der Fall gewesen. Der Prospekt enthalte im Kontext mit der Darstellung der Entwicklungen in der Containerschifffahrt Angaben zum zukünftig zu erwartenden Umschlagsvolumen, zur aktuellen Zusammensetzung der Gesamtflotte und zum erwarteten Flottenwachstum bis zum Jahr 2011. Der Anleger werde außerdem über das deutliche Wachstum der Containerflotte in den vergangenen Jahren und über den Trend zu größeren Schiffen informiert. Eine rechtliche Bewertung dazu, inwieweit die im Prospekt enthaltenen prognostischen Angaben durch Tatsachen gestützt und ex ante betrachtet vertretbar waren, nahm der BGH dagegen nicht vor. Dies sei nicht Gegenstand des Feststellungsziels 1.d) gewesen.

Das OLG habe auch zu Recht die Feststellungsziele zu 2. und 3. als gegenstandslos erklärt. Gegenstandslos werde der dem Musterverfahren zugrundeliegende Vorlagebeschluss hinsichtlich eines Feststellungsziels dann, wenn die Entscheidungserheblichkeit dieses Feststellungsziels aufgrund der vorausgegangenen Prüfung im Musterverfahren entfallen ist. So lagen die Dinge hinsichtlich der Feststellungsziele 2. und 3. deshalb, weil mangels vorliegender Prospektfehler eine Haftung der Musterbeklagten zu 3) nicht gegeben war.

Praxisrelevanz

Dass der Senat hinsichtlich des Musterbeklagten zu 3) überhaupt in die Prüfung der Fehlerhaftigkeit des Prospekts eingestiegen ist, war Folge des „Burgfriedens“ zwischen dem II. und XI. Zivilsenat des BGH zur Frage der Prospekthaftung von Gründungsgesellschaftern. Dieser sieht bekanntlich vor, dass Gründungsgesellschafter und Prospektverantwortliche in Aufweichung der ursprünglichen „Verdrängungsrechtsprechung“ des XI. Zivilsenats u.a. dann doch gemäß der §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB haften, wenn sie einen „zusätzlichen Vertrauenstatbestand setzen“. Dies wiederum sei der Fall, wenn der Gründungsgesellschafter entweder selbst den Vertrieb der Beteiligungen an Anleger übernimmt oder in sonstiger Weise für den von einem anderen übernommenen Vertrieb Verantwortung trägt („Kompromissrechtsprechung“).  Letzteres aber war beim hiesigen Musterbeklagten zu 3) unstreitig der Fall.

Inhaltlich von Interesse an der Entscheidung selbst ist dagegen einerseits die Klarheit, mit der zwischen den zur Erstellung einer Prognose erforderlichen Anknüpfungstatsachen und der Prognose selbst unterschieden wird und zum anderen die konsequente Auslegung des das Feststellungsziel zu 1.d) ausmachenden Gegenstands uns seines Umfangs.

Bereits dem erstgenannten Punkt kommt in der gerichtlichen Praxis im Zusammenhang mit (angeblichen) Prospektfehlern besondere Bedeutung zu. Denn vielfach vertreten Anlegerkanzleien die überzogene Auffassung, ein Prospekt sei bereits dann fehlerhaft, wenn er nicht sämtliche Daten und Informationen enthält, die ein sachunkundiger Anleger zur Erstellung einer eigenen Prognose benötigt. Dass dies nicht richtig sein kann, ergibt sich jedoch bereits daraus, dass ein Prospekt einen Anleger zutreffend über die wesentlichen Risiken der Beteiligung aufzuklären, nicht aber in einem höchst komplexen wirtschaftlichen Umfeld Laien zum Fachmännern zu machen hat. Dies bestätigt der Senat nun durch seine Kernaussage, ein Prospekt müsse gerade nicht sämtliche Anknüpfungstatsachen für die in ihm enthaltenen Prognosen enthalten.

Praxisrelevant ist die konsequente Auslegung des Feststellungsziels anhand seines eindeutigen Wortlauts. Dort wird allein das Fehlen von Orderbuchzahlen moniert, nicht aber, dass die im Prospekt enthaltene Prognose, die der Musterkläger gern selbst anhand konkreter Anknüpfungstatschen nachvollzogen hätte, im Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung im Prospekt unvertretbar gewesen wäre. Dies wäre zwar gegebenenfalls dann der Fall gewesen, wenn die insoweit im Prospekt enthaltenen prognostischen Angaben nicht durch Tatsachen gestützt und ex ante betrachtet vertretbar waren. Diese Frage war jedoch aufgrund der klaren Formulierung des Feststellungsziels zu 1.d) nicht Gegenstand des KapMuG-Verfahrens, weshalb der BGH sie offenlassen konnte.

(BGH, Beschluss v. 26.3.2024 – XI ZB 25/22)

Anmeldung zum GvW Newsletter

Melden Sie sich hier zu unserem GvW Newsletter an - und wir halten Sie über die aktuellen Rechtsentwicklungen informiert!