Juli 2023 Blog

Gründungs­gesell­schafter mit Ver­triebs­verant­wortlich­keit haften doch wegen Pros­pekt­haftung im weiteren Sinne

Auf Initiative des II. Zivilsenats am Bundesgerichtshofs (BGH) wurde die grundlegende Rechtsprechungsänderung des XI. Senats zum Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung aufgeweicht: Jedenfalls Gründungsgesellschafter mit Vertriebsverantwortlichkeit können nun doch wegen Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch genommen werden können.

Rechtsprechung bis 2019

Bis Anfang 2019 herrschte in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Einigkeit darüber, dass Gründungsgesellschafter von Fondsgesellschaften des „grauen Kapitalmarkts“ jedenfalls nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne für eine fehlerhafte Risikoaufklärung von Anlegern aufgrund falscher oder irreführender Prospektangaben haften. Grundlage war die Überlegung, dass die Altgesellschafter die neuen Gesellschafter (= die Anleger) wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichten über die wesentlichen Risiken der Beteiligung aufklären müssen. Unterblieb diese Aufklärung, konnte der nicht aufgeklärte Anleger von den Gründungsgesellschaftern Rückabwicklung der Beteiligung verlangen. Dabei lag ein wesentlicher Vorteil dieser Anspruchsgrundlage in der langen kenntnisunabhängigen 10-jährigen Verjährungsfrist.

Beschluss des XI. Zivilsenats vom 19.1.2021

Mit Beschluss vom 19.1.2021 und in weiteren Folgebeschlüssen hatte der XI. Zivilsenat des BGH dieser Rechtsprechung ein Ende gesetzt und klargestellt, dass bei einer Aufklärung durch Gründungsgesellschafter mittels eines schriftlichen Emissionsprospekts neben den tatbestandlichen Voraussetzungen der Prospekthaftung im weiteren Sinne stets auch diejenigen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung gegeben seien. Da die spezialgesetzliche Prospekthaftung aber Haftungserleichterungen für Prospektveranlasser und Prospektverantwortliche vorsähen, würde die Prospekthaftung im weiteren Sinne durch die spezielleren Vorschriften verdrängt. Hierfür genüge bereits die Rechtsstellung als Gründungsgesellschafter, weitere Voraussetzungen sollten nicht erforderlich sein.

Auffassung des II. Zivilsenats

Wohl deshalb, weil etwa bestehende Anlegeransprüche wegen spezialgesetzlicher Prospekthaftung in der Praxis wegen der diesbezüglichen kurzen Verjährungsfristen bei Klageerhebung längst verjährt waren, teilte der II. Zivilsenat des BGH mehrfach mit, dass er an der oben beschriebenen Rechtsauffassung aus der Zeit bis zum 19.1.2021 festhalte. Mit Spannung war daher erwartet worden, ob und wann der II. Zivilsenat Gelegenheit haben würde, seine Rechtsauffassung in entscheidungserheblicher Weise in eine Entscheidung zu gießen (in seinem Beschluss vom 25.10.2022 – II ZR 22/22 kam es auf diese Frage nicht entscheidungserheblich an) und ob es dann zu einem verbindlichen Ausspruch des Großen Senats kommen würde.

Abstimmung der Senate

Dazu dürfte es jedoch nicht kommen. Dies geht jedenfalls aus einem Hinweisbeschluss vom 27.6.2023 hervor (Az. II ZR 57/21), mit dem der II. Zivilsenat zweierlei verkündet hat:

  1. Eine vorvertragliche Aufklärungspflicht soll nur noch solche Altgesellschafter treffen, die entweder selbst den Vertrieb der Beteiligungen an Anleger übernehmen oder in sonstiger Weise für den von einem anderen übernommenen Vertrieb Verantwortung tragen. Vertriebsverantwortung tragen danach, soweit der Vertriebsauftrag von der Fondsgesellschaft erteilt wurde, allein die geschäftsführungsbefugten Altgesellschafter. Eine Aufklärungspflicht treffe den Altgesellschafter aber nicht bereits deshalb, weil ihr Alleingesellschafter von der Fondsgesellschaft mit dem Vertrieb beauftragt wurde. Eine personelle Verflechtung eines Altgesellschafters mit der Vertriebsgesellschaft begründe ebenfalls noch keine Vertriebsverantwortlichkeit.
  2. Der XI. Zivilsenat habe auf Anfrage mitgeteilt, dass seine oben erwähnte neue Rechtsprechung zur spezialgesetzlichen Haftung der Gründungsgesellschafter einer an die beschriebene Vertriebsverantwortung anknüpfenden Haftung der Altgesellschafter gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, §§ 282, 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten nicht entgegenstehe.

Anmerkung

Aus Basis des Ausspruchs des II. Zivilsenats dürfte nunmehr feststehen, dass es nicht zu dem insbesondere von Anlegerkanzleien herbei beschworene „Showdown“ der Senate im Großen Senat kommen wird. Hier wurde in der Praxis – wohl in bewusster in Verkennung der Rechtskraft einer Entscheidung des XI. Zivilsenats bezüglich obergerichtlicher Musterentscheide in Kapitalanlagemusterverfahren – immer wieder dahin argumentiert, eine möglicherweise einmal durch den Großen Senat erfolgenden Korrektur der neueren Rechtsprechung des XI. Zivilsenats könne dazu führen, dass die Ausgangsverfahren vor den Landgerichten (erneut) auszusetzen seien. Für diese Fälle hat die Entscheidung des II. Zivilsenats keinerlei Auswirkungen: Nach erfolgter Entscheidung des II. Senats erwächst die Entscheidung in Rechtskraft, die Ausgangsgerichte sind mithin an den gerichtlichen Ausspruch gebunden. Relevanz entfaltet der Beschluss ausweislich der Begründung des II. Zivilsenats daher erst einmal nur für diejenigen Altgesellschafter, die von der Fondsgesellschaft mit dem Vertrieb der Beteiligung beauftragt wurden und geschäftsführungsbefugt waren. „Einfache“ Alt-und/ oder Treuhandkommanditisten ohne Geschäftsführungsbefugnis haften daher auch nach Auffassung des II. Zivilsenats nicht nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne für eine fehlerhafte Risikoaufklärung von Anlegern aufgrund falscher oder irreführender Prospektangaben.

(BGH, Hinweisbeschluss vom 27.6.2023 – II ZR 57/21)

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