Beschleunigung der Energiewende 2.0 – Die Umsetzung der reformierten Erneuerbare-Energien-Richtlinie für die Windenergie an Land
Nach Erlass der zeitlich befristeten EU-Notfallverordnung im Jahr 2022 hat der europäische Gesetzgeber im Oktober 2023 auch seine Erneuerbare-Energien-Richtlinie reformiert. Gemeinsam mit dem im Juli von der Bunderegierung beschlossenen „Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EE-Richtlinie in den Bereichen Windenergie an Land und Solarenergie sowie für Energiespeicheranlagen am selben Standort“ (BT-Drs. 20/12785) trägt sie das Potenzial, Genehmigungsverfahren im Bereich der Windenergie an Land erheblich zu beschleunigen.
Hintergrund
Langwierige Genehmigungsverfahren werden als einer der Hauptgründe für den nur schleppend voranschreitenden Ausbau der erneuerbaren Energien angeführt. Die EU, die dieses Regelungsgebiet bislang überwiegend den Mitgliedstaaten überlassen hatte, verabschiedete im Oktober 2023 eine Reform der Richtlinie (EU) 2018/2001 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen, der sog. EE-Richtlinie. Damit stellte sie erstmals ein umfassendes Regelungsregime zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren im Bereich der erneuerbaren Energien auf.
Die in der reformierten EE-Richtlinie enthaltenen Bestimmungen bedürfen nun der Umsetzung in deutsches Recht. Nachdem die Bundesregierung bereits im April dieses Jahres einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Richtlinienreform in den Bereichen Windenergie auf See und Energieleitungen beschlossen hatte (s. BT-Drs. 20/1126), zog sie am 24. Juli 2024 für die Bereiche Windenergie an Land und Solarenergie nach (BT-Drs. 20/12785). Die für die Windenergie an Land vorgesehenen Maßnahmen sollen im Folgenden zusammenfassend dargestellt und einer kritischen Betrachtung unterzogen werden.
Verfahrensverkürzung durch die Ausweisung von Beschleunigungsgebieten
Als zentrales Instrument zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren sieht die EE-Richtlinie die Ausweisung von sog. Beschleunigungsgebieten vor. Die Mitgliedstaaten werden in Art. 15c EE-Richtlinie verpflichtet, für eine oder mehrere Arten erneuerbarer Energien Gebiete auszuweisen, die für Vorhaben zum Ausbau der erneuerbaren Energie, beispielsweise für den Bau von Windenergieanlagen, besonders geeignet sind. Bei der Gebietsausweisung sind flächendeckend Umweltprüfungen für das gesamte Beschleunigungsgebiet durchzuführen. Im Gegenzug wird bei der Einzelprüfung eines Vorhabens nun überwiegend auf die umweltrechtliche Genehmigungsprüfung verzichtet.
Mit dem Gesetzesentwurf vom 24. Juli 2024 sollen diese neuen Bestimmungen der EE-Richtlinie u.a. für Windenergieanlagen an Land umgesetzt werden.
Ausweisungsverfahren:
Zur Ausweisung von Beschleunigungsgebieten für Windenergievorhaben knüpft der Gesetzesentwurf an die bereits bestehenden Regelungen zur Festsetzung von Windenergiegebieten in Flächennutzungs- und Raumordnungsplänen gemäß § 2 Nr. 1 Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG) an. Diese Gebiete sind zukünftig gemäß § 249a Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB)-E und § 28 Abs. 2 Raumordnungsgesetz (ROG)-E als Beschleunigungsgebiete für die Windenergie an Land auszuweisen. Ausnahmen gelten nur für umweltrechtlich besonders sensible Gebiete. Alle anderen Flächen, die in Flächennutzungs- bzw. Raumordnungsplänen als Windenergiegebiete ausgewiesen werden sollen, sind nunmehr zugleich, also im selben Planverfahren, auch als Beschleunigungsgebiete im Sinne der EE-Richtlinie festzusetzen.
Genehmigungserleichterungen:
Liegt dann ein Windenergievorhaben, d.h. eine Windenergieanlage, eine dazugehörige Nebenanlage oder eine Energiespeicheranlage, in einem solchen ausgewiesenen Beschleunigungsgebiet, sollen zukünftig die Erleichterungen des § 6b WindBG-E für das Genehmigungsverfahren gelten. Die Norm ordnet nicht nur den Wegfall der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und der artenschutzrechtlichen Prüfung an. Neben diesen bereits aus § 6 WindBG und der EU-Notfallverordnung bekannten Genehmigungserleichterungen entfallen nun zusätzlich auch die in § 34 BNatSchG vorgesehene FFH-Verträglichkeitsprüfung sowie die Prüfung der wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele nach § 27 Wasserhaushaltsgesetz (WHG).
Überprüfungsverfahren:
Als Ersatz („anstelle“) für den Wegfall dieser bislang zentralen Teile der umweltrechtlichen Genehmigungsprüfung sieht der Gesetzesentwurf in § 6b Abs. 1 Satz 2 WindBG-E die Durchführung einer zumindest überschlägigen Umweltprüfung vor. Im Rahmen dieses sog. Überprüfungsverfahrens hat die Genehmigungsbehörde die Auswirkungen des Vorhabens daraufhin zu überprüfen, ob „eindeutige tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür vorliegen, dass das Vorhaben „höchstwahrscheinlich erhebliche unvorhergesehene nachteilige Umweltauswirkungen angesichts der ökologischen Empfindlichkeit des Gebiets“ haben wird. Ziel der Überprüfung ist es, Minderungsmaßnahmen festzulegen, mittels derer die Umweltrisiken eines Vorhabens so weit wie möglich verhindert werden können.
Das konkrete Verfahren der Überprüfung wird in § 6b Abs. 3 bis 7 WindBG-E konkretisiert. Danach ist der Vorhabenträger verpflichtet, ein Maßnahmenkonzept zu erarbeiten, aus dem sich geeignete und wirksame Maßnahmen ergeben, mittels derer etwaige Umweltauswirkungen des Vorhabens minimiert werden sollen. Auf dieser Grundlage überprüft die Zulassungsbehörde sodann die voraussichtlichen Umweltauswirkungen des Vorhabens. Dabei sind zwei Ergebnisse denkbar: Ergibt die Prüfung der Behörde, dass keine eindeutigen tatsächlichen Anhaltspunkte für erhebliche unvorhergesehene Umweltauswirkungen vorliegen, ordnet sie die Durchführung der im Maßnahmenkonzept des Vorhabenträgers vorgesehenen Minderungsmaßnahmen im Zulassungsbescheid für das Vorhaben an. Stellt die Zulassungsbehörde im Rahmen der Überprüfung aber fest, dass auch unter Berücksichtigung des Maßnahmenkonzepts des Vorhabenträgers eindeutige tatsächliche Anhaltspunkte für erhebliche unvorhergesehene Umweltauswirkungen vorliegen, ist eine Öffentlichkeitsbeteiligung entsprechend der Vorschriften des § 10 Abs. 3 bis 4 und 8 BImSchG durchzuführen. Ergeben sich daraus geeignete Minderungsmaßnahmen, ordnet die Behörde diese im Zulassungsbescheid an. Kommen auch nach der Öffentlichkeitsbeteiligung keine weiteren Minderungsmaßnahmen in Betracht, ordnet die Behörde geeignete und verhältnismäßige Ausgleichsmaßnahmen an bzw., wenn auch solche nicht verfügbar sind, verpflichtet sie den Vorhabenträger zu einer Zahlung in Geld.
Im Ergebnis unterscheidet sich die Überprüfung nach § 6b WindBG-E gegenüber den Umweltprüfungen, die sie ersetzt, damit in einem wesentlichen Punkt: Sie dient zwar ebenfalls dazu, die Umweltauswirkungen eines Vorhabens zu minimieren. Anders als die Artenschutz-, die FFH-Verträglichkeitsprüfung und die Prüfung der wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele hat das Überprüfungsverfahren aber keinen Einfluss auf die Entscheidung über das „Ob“ des Vorhabens. Die Genehmigung eines Vorhabens, das innerhalb eines Beschleunigungsgebietes liegt, kann künftig nicht mehr wegen eines Verstoßes gegen die artenschutzrechtlichen Verbote nach § 44 BNatSchG, die Vorschrift des § 34 BNatSchG oder die wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele des § 27 WHG versagt werden.
Hervorzuheben ist zudem, dass das Überprüfungsverfahren ausschließlich auf der Grundlage vorhandener Daten durchgeführt wird (vgl. § 6b Abs. 3 WindBG-E). Zu einer eigenen Erfassung und Vorlage ergänzender Unterlagen ist der Vorhabenträger fortan nicht mehr verpflichtet. Liegen keine Unterlagen vor, wird auf ein Überprüfungsverfahren verzichtet. In diesem Fall können schlichtweg keine speziellen Minderungsmaßnahmen für das Vorhaben festgelegt werden. Stattdessen hat der Betreiber der Anlage eine Zahlung in Geld zu leisten. Es ist davon auszugehen, dass die Anzahl der Verfahren, in denen keine Daten als Grundlage für die Durchführung eines Überprüfungsverfahren vorhanden sind, im Laufe der kommenden Jahre stetig zunehmen wird. Da Vorhabenträger nicht mehr zur Kartierung und Vorlage eigener Erhebungen verpflichtet sind, können spätestens in fünf Jahren keine Daten aus bisherigen Genehmigungsverfahren mehr herangezogen werden.
Fazit
Durch die Bündelung von Umweltprüfungen auf der vorgelagerten Planungsebene und den im Gegenzug angeordneten Wegfall von Prüfungsschritten in den vorhabenbezogenen Genehmigungsverfahren werden Synergieeffekte erzielt. In der Gesamtbetrachtung können die Reform der EE-Richtlinie und ihre Umsetzung in deutsches Recht so zu einer bedeutenden Beschleunigung für den Ausbau der erneuerbaren Energien beitragen.
Aus umweltschutzrechtlichen Gesichtspunkten stellen die Erleichterungen, die mit der Vorschrift des § 6b WindBG-E eingeführt werden sollen, allerdings einen Paukenschlag dar. Mit der UVP, der Artenschutzprüfung, der FFH-Verträglichkeitsprüfung und der Prüfung der wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele entfallen zukünftig für Vorhaben in Beschleunigungsgebieten die wesentlichen umweltrechtlichen Prüfungspunkte im Genehmigungsverfahren für die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage an Land. Nachdem das EU-Umweltschutzrecht in den vergangenen Jahren stetig weiterentwickelt wurde, werden die zuvor nahezu unantastbar anmutenden europäischen Umweltschutzstandards mit der Richtlinienreform nun deutlich entschärft.
Der Gesetzesentwurf (BT-Drs. 20/12785) befindet sich zurzeit zu Beratung in den Ausschüssen. Mit Datum vom 16. Oktober 2024 führte der federführende Ausschuss für Klimaschutz und Energie hierzu eine Sachverständigenanhörung durch. Ob und wann der Entwurf final vom Bundestag beschlossen wird, ist derzeit noch nicht absehbar.