BGH erteilt einem Comeback des „Widerrufsjokers“ für Verbraucherkreditverträge trotz EuGH-Urteil eine Absage
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 26. März 2020 auf ein Vorabentscheidungsersuchen eines deutschen Landgerichts entschieden, dass eine entsprechend eines gesetzlichen Musters in Widerrufsinformationen zu Verbraucherdarlehensverträgen verwendete Formulierung gegen EU-Recht verstoße. Dies wird, wie der Bundesgerichtshof (BGH) wenige Tage später klargestellt hat, jedoch nicht die Widerruflichkeit zahlreicher Verbraucherdarlehensverträge zur Folge haben.
Hintergrund
Nach § 495 Abs. 1 i.V.m. § 355 BGB steht Verbrauchern bei Darlehensverträgen mit Unternehmern grundsätzlich ein Widerrufsrecht mit einer Widerrufsfrist von 14 Tagen zu. Der Beginn der Widerrufsfrist setzt eine Widerrufsinformation voraus, die den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Vor dem Hintergrund des anhaltend niedrigen Zinsniveaus führte dies in der Vergangenheit dazu, dass zahlreiche Verbraucher mitunter noch viele Jahre nach Abschluss des Darlehensvertrags unter Berufung auf eine (vermeintlich oder tatsächlich) fehlerhafte Widerrufsinformation ihr gesetzlich eingeräumtes Widerrufsrecht ausübten, um sich von ihrem deutlich höher verzinsten Darlehensvertrag im Interesse einer günstigeren Neufinanzierung zu lösen. Daher hatten sich die Kreditinstitute in Deutschland sowie in der Folge die Gerichte in der Vergangenheit intensiv mit dem so genannten „Widerrufsjoker“ zu beschäftigen. Seit dem 30. Juli 2010 gilt jedoch ein gesetzliches Muster für die Widerrufsbelehrung, bei dessen Verwendung die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Information der Verbraucher kraft Gesetzes erfüllt sind (so genannte „Gesetzlichkeitsfiktion“). Nach der Rechtsprechung des BGH ist bei Verwendung des Musters somit ein Widerrufsrecht nach Ablauf der genannten Widerrufsfrist ausgeschlossen.
Entscheidung des EuGH
Anlass für die Entscheidung des EuGH war nun ein Rechtsstreit vor dem Landgericht Saarbrücken über die Wirksamkeit eines im Jahr 2016 von dem klagenden Verbraucher erklärten Widerrufs seines im Jahr 2012 geschlossenen Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrags. Entsprechend der damals gültigen Fassung des gesetzlichen Musters hatte die beklagte Kreissparkasse den Kläger wie folgt über dessen Widerrufsrecht informiert: „Der Darlehensnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z.B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.“
Das Landgericht hatte Zweifel daran, dass diese von der Beklagten verwendete Widerrufsinformation geeignet ist, den Verbraucher in Übereinstimmung mit europarechtlichen Vorgaben in „klarer, prägnanter Form“ über sein Widerrufsrecht zu informieren, und legte diese Frage dem EuGH vor.
Dieser hat mit seinem Urteil vom 26. März 2020 entschieden, dass die zur Bestimmung des Beginns der Widerrufsfrist gewählte Formulierung in dem gesetzlichen Muster der Widerrufsbelehrung mit den Vorgaben der europäischen Verbraucherkreditrichtlinie unvereinbar sei. Die für den Fristbeginn zwingend mitzuteilenden Pflichtangaben seien nicht vollständig, sondern würden nur beispielhaft aufgezählt. Im Übrigen werde auf die Regelung des § 492 Abs. 2 BGB verwiesen, die ihrerseits auf weitere Vorschriften verweise (so genannte „Kaskadenverweisung“). Bei einer solchen Verweisungskette müsse sich der Verbraucher mit einer Vielzahl nationaler Bestimmungen beschäftigen, die in verschiedenen Gesetzeswerken enthalten seien, um den Fristbeginn seines Widerrufsrechts zu ermitteln. Dies sei keine hinreichend klare Information.
Entscheidungen des BGH
Bereits wenige Tage nach dem Urteil des EuGH hat der BGH in zwei Beschlüssen vom 31. März 2020 ausgeführt, dass er auch unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils an seiner ständiger Rechtsprechung festhalte, nach der der im Muster enthaltene Verweis in Kombination mit der beispielhaften Aufzählung von Pflichtangaben nach den Maßstäben des nationalen Rechts klar und verständlich über den Beginn der Widerrufsfrist informiere. Ein Kreditinstitut müsse auch nicht genauer als der Gesetzgeber formulieren.
Bezüglich der Entscheidung des EuGH führt der BGH zutreffend aus, dass eine abweichende, „richtlinienkonforme“ Auslegung der Bestimmungen zur „Gesetzlichkeitsfiktion“ in den deutschen Vorschriften angesichts des eindeutigen Wortlauts, des Zwecks der Regelungen sowie der Gesetzgebungsgeschichte ausscheide. Eine solche Auslegung, die sich über die gesetzgeberischen Vorgaben hinwegsetzt, würde auch die Befugnis der Gerichte überschreiten. Zum anderen sieht der BGH die Entscheidung des EuGH hinsichtlich der Widerrufsinformation von Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträgen, also insbesondere bei Immobilienfinanzierungen, als nicht maßgeblich an, da die Verbraucherkreditrichtlinie auf diese Verträge schon keine Anwendung finde und der deutsche Gesetzgeber die Richtlinie für diese Verträge auch nicht „freiwillig“ umgesetzt habe. Demzufolge stehe die Auslegung der Vorschriften zu Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträgen als nationalen Vorschriften, die nicht in den Anwendungsbereich des EU-Rechts fallen, ohnehin nur den nationalen Gerichten zu.
Praxishinweis
Entgegen anderslautenden Pressemeldungen wird das Urteil des EuGH angesichts der unmittelbar anschließenden Entscheidungen des BGH nicht die Widerruflichkeit zahlreicher Verbraucherdarlehensverträge zur Folge haben. In Betracht kommen könnten etwaige Staatshaftungsansprüche gegen die Bundesrepublik wegen einer fehlerhaften Umsetzung der Richtlinie. Banken hingegen sollten von der zwischenzeitlich befürchteten Widerrufswelle weitgehend verschont bleiben.
(EuGH, Urteil vom 26.03.2020 - C-66/19; BGH, Beschlüsse vom 31.03.2020 - XI ZR 581/18 und XI ZR 198/19)
Dr. Patrick Wolff, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht
Hamburg
Katharina Teitscheid, Rechtsanwältin
Frankfurt a. M.