Zum Verhältnis von Planfeststellung und Unternehmensflurbereinigung
Die Planfeststellung soll dem Vorhabenträger eine „sichere“ Grundlage für den Erwerb der Umsetzung des Vorhabens benötigten Grundstücken geben, die von den Eigentümern nicht freiwillig veräußert werden. In Fällen besonderer Betroffenheiten kann zur Lastenverteilung eine Unternehmensflurbereinigung durchgeführt werden. Diese führt nicht nur zu einer Neuordnung im Flurbereinigungsgebiet, sondern verteilt die Last der Vorhabens, Grundstücke zur Verfügung zu stellen, auf eine größere Zahl von Eigentümern, die nicht zwingend von dem planfestgestellten Vorhaben betroffen sind, um. Das BVerwG hatte nun über die Klage von Eigentümern zu entscheiden, die erstmals durch die nach Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses eingeleitete Unternehmensflurbereinigung in ihrem Grundeigentum betroffen wurden (Urteil vom 02. Juli 2020 – 9 A 8.19). Diese Grundstückseigentümer haben ihre Klage gegen den ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss gerichtet, da dieser Abwägungsfehler aufweise.
Sachverhalt und Entscheidung
Das BVerwG hält es für möglich, dass sich Eigentümer, die durch eine Unternehmensflurbereinigung betroffen werden, ohne zuvor durch den zugrunde liegenden Planfeststellungsbeschluss betroffen gewesen zu sein, auch gegen den Planfeststellungsbeschluss wehren können. Dies könne aus Art. 14 Abs. 3 GG, sich gegen eine unberechtigte (weil rechtswidrige und damit nicht dem Allgemeinwohl dienende) Enteignung wehren zu dürfen, folgen. Werde ein Unternehmensflurbereinigungsverfahren erst lange nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses angeordnet, entstehe ein besonderes Spannungsverhältnis zwischen Art. 19 Abs. 4 GG (effektiver Rechtsschutz) und der Zielsetzung des Planfeststellungsrechtes dem Vorhabenträger Rechtsbeständigkeit und Planungssicherheit zu gewährleisten. Zur Lösung dieses Spanungsverhältnisses erwägt das BVerwG zwei Vorgehensweisen:
Bei Planfeststellung und Unternehmensflurbereinigung handelt es sich um zwei getrennte Verfahren, sodass Grundstückseigentümer, die „nur“ wegen der nachträglichen Einbeziehung in ein Flurbereinigungsverfahren betroffen sind, mit Einwendungen gegen den Planfeststellungsbeschluss ausgeschlossen sind, ihre Klagen unzulässig wären. Dem stellt das BVerwG die Möglichkeit gegenüber, dass diejenigen, denen der ursprüngliche Planfeststellungsbeschluss nicht bekannt gemacht worden ist, erstmals durch die Bekanntgabe des Flurbereinigungsbeschlusses Kenntnis auch von dem Planfeststellungsbeschluss erhalten, der letztlich Ursache für die nun erfolgende Inanspruchnahme ihres Eigentums ist. Daher könne ihnen (mangels Bekanntgabe) nun mehr auch ein Anfechtungsrecht gegen den bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss zustehen, da eine Enteignung ein rechtmäßiges Vorhaben voraussetze.
Das BVerwG musste im konkreten Fall nicht entscheiden, welcher Auffassung es folgt, da auch bei Anwendung der „nachträglichen“ Anfechtungsmöglichkeit die Klage im konkreten Fall (wegen Verwirkung) unzulässig war.
Nach den Feststellungen des Urteils hatten die Kläger im Planfeststellungsverfahren keine eigenen Einwendungen erhoben, sondern lediglich Einwendungen eines Dritten gegen den Planfeststellungsbeschluss unterstützt. Daher habe der Planfeststellungsbeschluss auch nicht über ihre Einwendungen entschieden und sei ihnen gegenüber auch nicht bekannt gemacht worden. Die (besondere) Bekanntmachungsvorschrift des § 74 Abs. 5 Satz 1 VwVfG führt danach nicht zu einer Bekanntmachung inter omnes, sondern nur gegenüber Einwendern und durch den Planfeststellungsbeschluss Betroffenen, § 74 Abs. 4 Satz 3, § 74 Abs. 5 Satz 3 VwVfG.
Mit der Bekanntgabe des Flurbereinigungsbeschlusses sei der Planfeststellungsbeschluss auch nichterneut gegenüber den „neu“ betroffenen Grundstückseigentümern bekannt gemacht worden. Allerdings habe der Flurbereinigungsbeschluss dezidiert auf den Planfeststellungsbeschluss hingewiesen, sodass es den – am Planfeststellungsverfahren beteiligten – Klägern, zumutbar war, mit Bekanntgabe des Flurbereinigungsbeschlusses entsprechende Schritte nicht nur gegen den Flurbereinigungs- sondern auch gegen den Planfeststellungsbeschluss einzuleiten. Allerdings müsse (vergleichbar der Rechtsprechung im Baunachbarrecht) mangels Bekanntgabe (analog § 58 Abs. 2 VwGO) von einer Anfechtungsfrist von einem Jahr ausgegangen werden, wobei allerdings die Intensität der Befassung der Kläger im Planfeststellungsverfahren verkürzend wirken kann. Diesen Gesichtspunkt musste das BVerwG nicht vertiefen, da die Jahresfrist, die mit Bekanntgabe des Flurbereinigungsbeschlusses zu laufen beginnt, im vorliegenden Fall jedenfalls deutlich überschritten war.
Praxishinweise
Wenn sich diese Auffassung durchsetzt, droht ein weiteres Element der erhöhten Bestandskraft von Planfeststellungsbeschlüssen relativiert zur werden. Inhaltlich bliebe die Frage, welche Gesichtspunkte des Planfeststellungsbeschlusses nach welchem Maßstab zu prüfen wären. Sieht man die Bekanntgabe als Wirksamkeitsvoraussetzung, könnte sich der Beurteilungszeitpunkt für die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses in dieser Konstellation deutlich nach hinten verschieben. Dieses Ergebnis könnte wohl nur durch einen frühzeitigen Beginn der Unternehmensflurbereinigung vermieden werden.
BVerwG, Urt. vom 02. Juli 2020 – 9 A 8.19
Prof. Dr. Ulrich Hösch, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht
München