Oktober 2024 Blog

Transformation des Vergaberechts – Ein Überblick über den Referentenentwurf vom 30.09.2024

Die Regierungsparteien haben sich im Rahmen des Koalitionsvertrags „Mehr Fortschritt wagen“ dazu verpflichtet, das Vergaberecht umfassend zu reformieren. Der geplante Umbau zielt darauf ab, komplexe Vergabeverfahren zu vereinfachen und gleichzeitig die öffentliche Beschaffung als Motor für wirtschaftliche Innovation und soziale sowie ökologische Nachhaltigkeit zu nutzen.

Fazit: ist nun alles „Einfacher, schneller, flexibler“?

Die Reform des Vergaberechts ist ein überfälliger Schritt, um die öffentliche Beschaffung in Deutschland effizienter, nachhaltiger und innovationsfreundlicher zu gestalten. Ist nun alles – wie der Entwurf verspricht - einfacher, schneller, flexibler?

  • Durch die Einführung der Nachhaltigkeits- und Negativlisten in der neuen „Grundsatznorm“ des § 122a GWB werden klare und verbindliche Leitlinienfür öffentliche Auftraggeber vorgegeben. Dies erleichtert nicht nur die Konzeptionierung der Vergabeunterlagen, sondern hat das Potenzial die nachhaltige Beschaffung maßgeblich zu fördern. Allerdings ist es versäumt worden, die Vorgaben verpflichtend einzuführen. Daher gibt es bei jeder Vergabe eine Möglichkeit, für den Einzelfall von einer nachhaltigen Beschaffung abzusehen. Da hätte mehr Gestaltungswillen gutgetan.
  • Die Maßnahmen zum Bürokratieabbau hingegen sind effizient. Insbesondere die Einführung von höheren Wertgrenzen für Direktvergaben im Unterschwellenwertbereich führt zu einer spürbaren Entlastung der Vergabestellen. Allerdings ist hier die Regelungskompetenz des Bundes auf Bundesvergaben beschränkt, für die weit überwiegende Zahl an Vergaben ist die Übernahme durch den jeweiligen Landesgesetzgeber erforderlich aber auch wahrscheinlich.
  • Insgesamt setzt die Bundesregierung ein vorsichtiges Zeichen für eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik der Stärkung von Innovation und Start-ups, der Einbindung ökologischer und sozialer Kriterien sowie der Vereinfachung bürokratischer Prozesse.

Hintergrund: Ziele der Vergaberechtsreform

Im Koalitionsvertrag wurden die zentralen Reformziele klar formuliert:

  • Vereinfachung des Vergaberechts: Aufgrund der hohen Komplexität der aktuellen Regelungen soll das Vergaberecht künftig übersichtlicher und praxisfreundlicher gestaltet werden.
  • Förderung einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft: Die öffentliche Beschaffung soll als Hebel genutzt werden, um die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft voranzutreiben.
  • Stärkung des Mittelstands: Als Rückgrat der deutschen Wirtschaft soll der Mittelstand stärker in die öffentliche Vergabe eingebunden werden.
  • Förderung von Start-ups und Innovation: Innovative und junge Unternehmen sollen bessere Zugangsmöglichkeiten zu öffentlichen Aufträgen erhalten, um ihre Innovationskraft für staatliche Aufgaben zu nutzen.

Politischer und wirtschaftlicher Hintergrund

Das öffentliche Beschaffungsvolumen in Deutschland beträgt, je nach Berechnungen, zwischen 350 und 550 Milliarden Eurojährlich. Dies entspricht etwa 15 % des Bruttoinlandsprodukts. Damit ist das Vergaberecht ein wirkungsvolles Instrument zur Umsetzung politischer und gesellschaftlicher Ziele.

Der Referentenentwurf im Überblick: Transformation des Vergaberechts

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat einen 113-seitigen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Transformation des Vergaberechts (Vergaberechtstransformationsgesetz-VergRTransfG)vorgelegt, der Maßnahmen zur Reform des Vergaberechts enthält. Ziel ist es, sowohl die öffentliche Verwaltung zu entlasten (jährliche Einsparungen von bis zu 1,3 Milliarden Euro) als auch die Vergabeverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Zu diesem Zweck sieht der Referentenentwurf insbesondere die Überarbeitung folgender Regelwerke vor:

  • Anpassungen des GWB(Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) und der VgV(Vergabeverordnung): Diese beiden zentralen Regelwerke werden umfassend überarbeitet.
  • Anpassung der UVgO(Unterschwellenvergabeordnung): Neufassungen der UVgO sollen besonders bei Aufträgen unterhalb der EU-Schwellenwerte mehr Flexibilität und Rechtssicherheit bieten.

Maßnahmen zur Vereinfachung und Bürokratieabbau

Eine Kernkomponente der Reform ist die Reduzierung bürokratischer Hürden, um den Vergabeprozess schneller und effizienter zu gestalten. Wichtige Änderungen sind insbesondere:

  • Flexibilisierung des Losgrundsatzes: Aufträge können künftig flexibler in kleinere Lose unterteilt werden.
  • Erleichterungen in der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit: Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern wird vereinfacht.
  • Vereinfachung von Leistungsbeschreibungen und Nachweispflichten: Eigenerklärungen werden gestärkt, und Nachweise müssen nur noch von aussichtsreichen Bietern vorgelegt werden.
  • Erhöhte Schwellenwerte: Bundesoberbehörden profitieren von höheren EU-Schwellenwerten, was den Verwaltungsaufwand reduziert.

Maßnahmen zur Digitalisierung und Beschleunigung

Darüber hinaus werden, um den Vergabeprozess weiter zu beschleunigen, vermehrt digitale Instrumente eingeführt:

  • Elektronische Vergabe und Verlinkungen: Ausschreibungen und Bekanntmachungen sollen verstärkt digital abgewickelt werden.
  • Virtuelle Verhandlungen und Aktenübermittlung: Nachprüfungsverfahren können künftig digital geführt und Akten elektronisch übermittelt werden.
  • Online-Marktplätze: Die Vergabe von Direktaufträgen bis zu 50.000 Euro über Online-Marktplätze wird ermöglicht.

Stärkung des Mittelstands und von Start-ups

Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Reform ist die stärkere Einbindung des Mittelstands und die Förderung von Innovation durch Start-ups:

  • Berücksichtigung mittelständischer Interessen: Öffentliche Auftraggeber können verpflichtet werden, die Interessen des Mittelstands stärker zu berücksichtigen.
  • Neue Möglichkeiten für Direktvergaben: Innovative Unternehmen profitieren von vereinfachten Direktvergaben bis zu einem Auftragswert von 100.000 Euro.
  • Erleichterte Nachweispflichten: Für junge Unternehmen gibt es künftig alternative Möglichkeiten, Eignungsnachweise zu erbringen.

Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung

Eine wesentliche Säule der Reform ist die Berücksichtigung sozialer und umweltbezogener Kriterien bei der öffentlichen Beschaffung:

  • Nachhaltigkeitskriterien: Öffentliche Auftraggeber müssen bei der Vergabe künftig mindestens ein soziales oder umweltbezogenes Kriterium berücksichtigen.
  • Nachhaltigkeitslisten: Für bestimmte Beschaffungsgegenstände wird eine verpflichtende Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien eingeführt.
  • Negativlisten: Bestimmte nicht nachhaltige Güter werden grundsätzlich von der Beschaffung ausgeschlossen.

Maßnahmen zur Krisenbewältigung

Ein weiteres Novum ist die Einführung einesrechtssicheren Krisenvergaberechts. In Krisensituationen können öffentliche Aufträge künftig vereinfacht und schneller vergeben werden, um eine effektive Reaktion auf Notlagen sicherzustellen.

Wie geht es weiter?

Der Getzesentwurf ist dem Bundesrat zugeleitet worden und durchläuft aktuell das Gesetzgebungsverfahren.

Stimmen zur Reform

Ein so umfassendes Reformvorhaben wie das Vergabetransformationspaket führt selbstverständlich sowohl bei politischen Akteuren als auch wirtschafts- und rechtspolitischen Experten zu Reaktionen:

  • Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister, lobt die Reform als „Befreiungsschlag“ und hebt hervor, dass die Bürokratie deutlich reduziert und die Verfahren beschleunigt werden.
  • Michael Kruse, energiepolitischer Sprecher der FDP, begrüßt die Einsparungen, fordert aber noch weitergehende Maßnahmen zur Entbürokratisierung.
  • Heike Göbel, Wirtschaftsredakteurin der FAZ, warnt vor zu viel Komplexität und Politisierung im Vergabeverfahren, die Konkurrenten ausschließen könnte.

Mehr Informationen zum Referentenentwurf finden Sie hier.

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