Planfeststellungsverfahren sind keine wissenschaftlichen Forschungsprojekte
Gibt es Grenzen für Art, Tiefe und Umfang von naturfachlichen Untersuchungen im Rahmen von Planfeststellungsverfahren? Ja, das Bundesverwaltungsgericht hat bereits in der Vergangenheit entschieden, dass eine am Maßstab praktischer Vernunft ausgerichtete Prüfung erforderlich, aber auch ausreichend ist. Nach seiner jüngsten Entscheidung steht ausdrücklich fest: Es kann vom Vorhabenträger nicht verlangt werden, umweltfachliche Untersuchungen durchzuführen, die das Ausmaß eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts erreichen. Soweit Vorhabenträger eine methodisch ordnungsgemäße Bestandsaufnahme durchgeführt haben, führen „neue“ Erkenntnisse, die nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses auftreten, nicht ohne weiteres zu dessen Rechtswidrigkeit.
Hintergrund
In der öffentlichen Diskussion wird die Dauer von Planfeststellungsverfahren allgemeinhin als erheblich zu lang empfunden. Die Gründe, die im Einzelfall zu Verzögerungen bei der Planung und Realisierung von Infrastrukturvorhaben führen, sind vielfältig. Hierzu zählt insbesondere das Auftreten neuer umweltfachlicher und tatsächlicher Erkenntnisse. Vor allem nach Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses führen solche neuen Erkenntnisse – nicht selten von Klägerseite vorgetragen – und deren anschließende Berücksichtigung zu Verzögerungen bei der Realisierung von Vorhaben. Soweit es im Rahmen der gerichtlichen Anfechtung von Planfeststellungsbeschlüssen schließlich gelingt aufzuzeigen, dass die durch-geführten fachlichen Untersuchungen der Vorhabenträger die Realität nicht vollständig abbilden, führt dies in den aller meisten Fällen zu einem Fehler in der Planung. Dies zieht die Durchführung eines zeitintensiven Fehlerbehebungsverfahrens nach sich. Dies war auch die Ausgangslage in den Klageverfahren gegen den Planfeststellungsbeschluss für die Errichtung einer Festen Fehmarnbeltquerung, dem sogenannten Fehmarnbelttunnel zur Anbindung Skandinaviens an Kontinentaleuropa. Unmittelbar vor Beginn der Verfahren hatten einige Kläger vorgetragen, dass sie bei kürzlich durchgeführten eigenen Untersuchungen „neue“ Riffe im Fehmarnbelt gefunden hätten. In diesem Zusammenhang hatte auch die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) im Rahmen eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts das Vorkommen von Riffen im Fehmarnbelt untersucht. Dabei hatte die CAU tatsächlich Riffe im näheren Bereich der Tunneltrasse entdeckt. Diese seien von den Vorhabenträgern nicht gesehen und damit auch bei der Planung nicht (hinreichend) berücksichtigt worden. Unter Hinweis auf diese Erkenntnisse der CAU sowie ihre eigenen Untersuchungen versuchten die Kläger, die Validität der fachlichen Unterlagen der Vorhabenträger zu erschüttern.
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
Das Bundesverwaltungsgericht ist den Klägern unter anderem in diesem Punkt nicht gefolgt. Neben einer Vielzahl materiell-rechtlicher Fragestellungen zur Planrechtfertigung, zum deutsch-dänischen Staatsvertrag sowie zum Naturschutzrecht hat das Bundesverwaltungsgericht in seinen Entscheidungen zur Errichtung einer Festen Fehmarnbeltquerung auch einen strengen Maßstab im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses angewendet. Das Bundesverwaltungsgericht stellte in der mündlichen Urteilsverkündung sowie in der Pressemitteilung ausdrücklich fest, dass die Vorhabenträger eine methodisch ordnungsgemäße Bestandsaufnahme erstellt haben und sich dabei auf die repräsentative Beprobung des Meeresbodens in dem großen Untersuchungsgebiet beschränken durften. Deshalb führe es nicht zur Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses, dass Riffe „im näheren Bereich der Tunneltrasse erst nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses durch ein wissenschaftliches Forschungsprojekt der Universität Kiel erkannt worden sind“. Weiter hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass wegen des gesetzlichen Verbots, Biotope zu zerstören oder zu beschädigen, das Vorhaben in diesem Bereich nicht durchgeführt werden darf, ohne dass über eine Eingriffsvermeidung bzw. eine Befreiung von dem Verbot nachträglich entschieden wird. Zu diesem Zweck haben Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens angekündigt.
Konsequenzen für die Praxis
Die Entscheidung enthält eine sehr begrüßenswerte Klarstellung zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Planfeststellungsbeschlüssen. Es kommt auf den Zeitpunkt des Beschlusserlasses an: Soweit die vorgenommenen fachlichen Untersuchungen methodisch korrekt durchgeführt wurden, können „neue“ Erkenntnisse, vor allem solche aus wissenschaftlichen Forschungsvorhaben, diese nicht ohne weiteres erschüttern. Auch wenn es erforderlich sein kann, vor Realisierung des Vorhabens insoweit noch ein gesondertes Verfahren durchzuführen, ist der Planfeststellungsbeschluss nicht als rechtswidrig anzusehen und daher vollziehbar. In der Folge kann mit der Umsetzung des Vorhabens bereits begonnen werden. Es deutet sich eine kleine Wende in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an, die sicherlich zur Beschleunigung der Realisierung von Vorhaben beitragen kann. Für eine abschließende Beurteilung bleiben aber die schriftlichen Entscheidungsgründe abzuwarten; diese werden im Frühjahr 2021 erwartet.
(BVerwG, Urteile vom 3. November 2020, Az. 9 A 6.19, 9 A 7.19, 9 A 9.19, 9 A 11.19, 9 A 12.19, 9 A 13.19; Pressemitteilung Nr. 62/2020 vom 3. November 2020, abrufbar unter: https://www.bverwg.de/pm/2020/62)
Dr. Stefanie Ramsauer, Rechtsanwältin
Hamburg