Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – eine arbeitsrechtliche Betrachtung
Der Bundestag hat am 11.06.2021 das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten („Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“) in der vom Ausschuss für Arbeit und Soziales geänderten Fassung verabschiedet. Dieses enthält Neuerungen zum vorherigen Gesetzesentwurf. Insbesondere werden die Rechte des Betriebsrates gestärkt.
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gilt für die gesamte Lieferkette. Es stuft jedoch die Unternehmensverantwortlichkeit nach dem Grad der Einflussmöglichkeit ab. Die Lieferkette bezieht sich auf alle Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens und erfasst das Handeln des Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich, das Handeln eines unmittelbaren Zulieferers und das Handeln eines mittelbaren Zulieferers.
Die abgeänderte Fassung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes hält neben der Abwandlung der Kurzbezeichnung als Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, weitere Änderungen bereit, die dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz aus arbeitsrechtlicher Sicht mehr Bedeutung verleihen. In der geänderten Fassung wurden die Bestimmung des Anwendungsbereiches, die Mitbestimmung des Betriebsrates und die Implementierung des Beschwerdeverfahrens neu eingeführt bzw. die ursprünglich entworfene Regelung modifiziert.
Im Einzelnen sind in der geänderten Fassung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes folgende Bereiche von gewisser arbeitsrechtlicher Relevanz:
1. Bestimmung des Anwendungsbereichs
Regelungsadressaten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes sind Unternehmen mit Sitz im Inland, die in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmer beschäftigen. Ab 01. Januar 2024 soll dieser Schwellenwert auf 1.000 Arbeitnehmer gesenkt werden. In der geänderten Fassung des Gesetzes wird nun in § 1 Abs. 1 klargestellt, dass im Rahmen des Anwendungsbereiches 3.000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigt sein müssen, wobei ins Ausland entsandte Arbeitnehmer ebenfalls hiervon erfasst werden. Darüber hinaus wurde in § 1 Abs. 1 des Gesetzes neu eingeführt, dass künftig ausländische Unternehmen in den Anwendungsbereich fallen können, wenn sie in Deutschland zumindest über eine Zweigniederlassung vertreten sind und in dieser mindestens 3.000 bzw. ab 2024 1.000 Arbeitnehmer beschäftigen. Bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl einer Obergesellschaft sind alle inländischen Arbeitnehmer von Tochtergesellschaften hinzuzurechnen. Auch Leiharbeitnehmer werden bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl des Entleiherunternehmens einbezogen, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt.
Bewertung
Der Anwendungsbereich ist bezüglich der einzubeziehenden Arbeitnehmer mit der geänderten Fassung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes für die Unternehmen konkret bestimmt. Es ist für die Unternehmen abgrenzbar, ob sie den Schwellenwert von 3.000 bzw. 1.000 Arbeitnehmern überschreiten. Insbesondere wird nun klargestellt, dass auch ins Ausland entsandte Arbeitnehmer vom Anwendungsbereich erfasst werden. Durch die Ausweitung des Anwendungsbereiches auch auf ausländische Unternehmen, die mindestens 3.000 bzw. ab 2024 1.000 Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigen, werden darüber hinaus gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen und solche mit Zweigniederlassungen in Deutschland geschaffen.
2. Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses
In der geänderten Fassung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes wurde Artikel 4 neu eingefügt, der eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes in § 106 Abs. 3 vorsieht. Nach § 106 Abs. 1 BetrVG ist in allen Unternehmen mit in der Regel mehr als einhundert ständig beschäftigten Arbeitnehmern ein Wirtschaftsausschuss zu bilden. Der Wirtschaftsausschuss hat die Aufgabe, wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Unternehmer zu beraten und den Betriebsrat zu unterrichten. Nach dem neu einzufügenden § 106 Abs. 3 Nr. 5b BetrVG gehören zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten im Sinne dieser Vorschrift nunmehr auch Fragen der unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten.
Der Arbeitgeber hat rechtzeitig und umfassend zu informieren und gegebenenfalls jegliche erforderliche Unterlagen im Rahmen der Unterrichtung vorzulegen. Insbesondere sind dem Wirtschaftsausschuss etwaige Auswirkungen auf die Personalplanung mitzuteilen. Die Unterrichtungspflichten werden sich umfassend auf die konkrete Umsetzung der Pflichten des Unternehmens aus dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz insbesondere auf das Risikomanagement (§ 4), die Risikoanalyse (§ 5), sowie Präventionsmaßnahmen (§ 6) und Abhilfemaßnahmen (§ 7) erstrecken. Die Unterrichtungspflichten werden inhaltlich auch über die Dokumentations- und Berichtspflicht des Unternehmens aus § 10 des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes hinausgehen, da die erforderlichen Unterlagen umfassender sind.
Soweit zwischen dem Wirtschaftsausschuss und dem Arbeitgeber Streit über die Unterrichtung besteht, ist die Einigungsstelle nach § 109 BetrVG zuständig. Wenn im Rahmen der Einigungsstelle eine fehlerhafte oder nicht rechtzeitige Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses festgestellt wird, kann bei weiterer Verweigerung gemäß § 121 BetrVG eine Geldbuße bis zu 10.000 Euro gegenüber dem Arbeitgeber verhängt werden.
Bewertung
In Folge der Einführung von § 106 Abs. 3 Nr. 5b BetrVG erhält der Wirtschaftsausschuss ein umfassendes Unterrichtungsrecht, das sich auf alle Fragen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes erstreckt. Allerdings ergibt sich für den Wirtschaftsausschuss aus § 106 Abs. 3 Nr. 5b BetrVG neben dem Unterrichtungsrecht kein zusätzliches Mitbestimmungsrecht. Der Betriebsrat hat daher nur bedingte Einflussmöglichkeiten im Rahmen seiner Beratungs- und Informationsrechte. Eine unternehmerische Mitbestimmung bezüglich der Einhaltung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten im Unternehmen, welche das Unternehmen zu einer Kompromissfindung oder Umsetzung von Vorschlägen des Betriebsrates zwingen könnte, besteht nicht.
3. Beschwerdeverfahren
Die Unternehmen haben nach § 8 des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes dafür zu sorgen, dass ein angemessenes unternehmensinternes Beschwerdeverfahren eingerichtet wird. Das Beschwerdeverfahren ermöglicht Personen, auf menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken sowie auf Verletzungen menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten hinzuweisen, die durch das wirtschaftliche Handeln eines Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich oder eines unmittelbaren Zulieferers entstanden sind, und soll in der gesamten Lieferkette zugänglich sein. Alternativ können sich Unternehmen an einem entsprechenden externen Beschwerdeverfahren beteiligen. Die praktische Umsetzung des Beschwerdeverfahrens wird zum einen die Implementierung des Beschwerdeverfahrens im Unternehmen und zum zweiten notwendige Schulungsmaßnahmen der Mitarbeiter zur Folge haben. Hierbei entstehen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 BetrVG.
Bei Mitbestimmungsrechten nach § 87 Abs. 1 BetrVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, vor der Umsetzung, die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen. Dem Betriebsrat kann bei einem Verstoß gegen die Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 BetrVG ein Unterlassungsanspruch zustehen, der auch im einstweiligen Verfügungsverfahren geltend gemacht werden kann.
Bewertung
Die Regelung zu dem Beschwerdeverfahren nach § 8 des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes führt zwar theoretisch nur zu Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates in den zwei abgrenzbaren Themen der Implementierung des Beschwerdeverfahrens und der Schulung der Mitarbeiter. Praktisch sind aber sowohl bei der Implementierung des Beschwerdeverfahrens als auch bei der notwendigen Schulung der Mitarbeiter alle weiteren Pflichten des Unternehmens aus dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Betracht zu ziehen. Dem Betriebsrat steht damit zumindest als mittelbare Folge ein weitergehendes Mitbestimmungsrecht bezüglich der Sorgfaltspflichten zu, wenn ein Zusammenhang mit den Mitbestimmungsrechten im Rahmen des Beschwerdeverfahrens besteht.
Fazit
Das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz tangiert das BetrVG an einigen Stellen. Die Mitbestimmung des Betriebsrates wird sich praktisch auf das Beschwerdeverfahren konzentrieren, da der Betriebsrat hier zustimmen muss. Sowohl bei der Implementierung des Beschwerdeverfahrens unternehmensintern als auch bei den Schulungsmaßnahmen der Mitarbeiter steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zu. Diese zwei Mitbestimmungsrechte vermitteln dem Betriebsrat eine mittelbare Kontrolle der Umsetzung der Sorgfaltspflichten. Denn zur Implementierung des Beschwerdeverfahrens und zur Umsetzung von Schulungsmaßnahmen spielen die Pflichten des Unternehmens wie etwa die Risikoanalyse, die Prävention und Abgabe einer Grundsatzerklärung und die Dokumentations- und Berichtspflicht des Unternehmens eine bedeutende Rolle.