Keine Nichtigkeit eines kompetenz- und vertragswidrig gefassten Geschäftsführer-Abberufungsbeschlusses
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist ein gegen die Kompetenzverteilung der Satzung und entgegen den Regelungen eines schuldrechtlichen Stimmbindungsvertrags gefasster Abberufungsbeschluss lediglich anfechtbar, nicht aber nichtig.
Sachverhalt
Die Parteien stritten über die Wirksamkeit der Abberufung des Klägers vom Amt des Geschäftsführers aus wichtigem Grund.
Alleingesellschafter der beklagten GmbH („Beklagte“) war ein eingetragener Verein („Verein“). Geschäftsführer der Beklagten war der Kläger. Die Satzung der Beklagten sah vor, dass ihr Geschäftsführer von einem fakultativen Aufsichtsrat bestellt und abberufen wird. Die Beklagte ist Komplementärin einer GmbH & Co. KGaA („KGaA“), die einen Fußballzweitligisten unterhält und deren alleinige Kommanditaktionärin eine GmbH & Co. KG war („KG“). Mehrheitskommanditistin der KG war die K-GmbH, deren Alleingesellschafter wiederum der Kläger war.
In einem Stimmbindungsvertrag hatten der Verein, die KGaA und die KG vereinbart, dass der Verein die Satzung der Beklagten nicht ohne vorherige schriftliche Zustimmung der KG ändern, ergänzen oder ersetzen darf. Die aufgrund der Beklagtensatzung der KG – vermittelt über den Aufsichtsrat der Beklagten – eingeräumten Mitentscheidungsrechte bei der Bestellung bzw. Abberufung des Geschäftsführers der Beklagten wurden im Stimmbindungsvertrag als dessen essentieller Bestandteil bezeichnet.
In einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 25.7.2019 fasste der Verein einen notariell beurkundeten Beschluss über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund „im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses“. Der Kläger beantragte Feststellung der Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses, da er kompetenzwidrig gefasst worden sei. Das Landgericht gab der Klage statt, was in der zweiten Instanz bestätigt wurde.
Die Revision der Beklagten beim Bundesgerichtshof (BGH) hatte Erfolg.
Begründung des BGH
1.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen sei der Abberufungsbeschluss wegen des Verstoßes gegen die Satzung der Beklagten nicht analog § 241 Nr. 3 AktG nichtig. Dies sei nur dann der Fall, wenn der betreffende Gesellschafterbeschluss mit dem Wesen der GmbH nicht zu vereinbaren ist oder durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind. Erforderlich hierfür sei eine Verletzung der tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts. Hieran hatte es nach Ansicht des BGH gefehlt.
Ausgangspunkt dabei war die Überlegung, dass das „Wesen der GmbH“ nicht der Disposition von Gesellschaftern unterliegt sondern sich aus dem Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) und den tragenden Strukturmerkmalen des GmbH-Rechts ergebe. Der streitgegenständliche Abberufungsbeschluss aber sei mit den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts schon deshalb vereinbar, weil § 52 GmbHG dem fakultativen Aufsichtsrat von Gesetzes wegen keine Abberufungskompetenz zuweist, sondern diese vielmehr gemäß §§ 45 Abs. 2, 46 Nr. 5 GmbHG der Gesellschafterversammlung vorbehalten ist.
2.
Es lagen nach Auffassung des BGH auch ansonsten keine relevanten besonderen Umstände vor, aus denen sich die Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses herleiten lasse.
Insbesondere käme eine Nichtigkeit auch nicht wegen Verstoßes des Vereins gegen Regelungen des Stimmbindungsvertrags in Betracht. Unabhängig davon, ob ein solcher Verstoß von einem Gesellschafter oder einem Außenstehenden vorgenommen wird, müsse streng zwischen der hierdurch betroffenen rein schuldrechtlichen und der hiervon nicht betroffenen kooperationsrechtlichen Ebene unterschieden werden. Ein Streit über Verstöße gegen Stimmbindungsverträge könne daher nicht gegenüber der Gesellschaft, sondern müsse unter den jeweiligen Vertragsparteien ausgetragen werden. Dies gelte auch mit Blick auf das vom Verein übergangene Zustimmungserfordernis der KG: Diese sei schließlich keine Gesellschafterin der Beklagten.
3.
Der Abberufungsbeschluss war auch nicht analog § 241 Nr. 4 AktG wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Dies sei nur dann der Fall, wenn der Beschluss für sich allein betrachtet gegen die guten Sitten verstößt. Dies aber sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Trotz des bewussten Unterlaufens der Satzungsregelung und des Zustimmungserfordernisses der KG fehle es an der erforderlichen besonderen Verwerflichkeit. Der bloße Verstoß gegen eine Satzungsbestimmung mache einen Gesellschafterbeschluss nach höchstrichterlicher Rechtsprechung lediglich anfechtbar und die Verletzung eines rein schuldrechtlichen Stimmbindungsvertrags betreffe gerade nicht die kooperationsrechtliche, sondern allein die schuldrechtliche Ebene mit ihren lediglich relativen Wirkungen (siehe oben Ziff. 2). Sonstige Umstände aber, aus denen eine besondere Verwerflichkeit folge, seien nicht festgestellt worden, so dass sich eine solche auch nicht aus einer Gesamtbetrachtung ergebe.
4.
Schließlich sei der notariell beurkundete Beschluss auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer „zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechung“ nichtig, bei der eine nicht einer Satzungsänderung genügende Satzungsdurchbrechung einen von der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand begründet. Denn der streitgegenständliche Beschluss begründe bereits keinen von der Satzung abweichenden Zustand; die Satzungsverletzung betreffe nämlich nur das Zustandekommen des Beschlusses und habe sich spätestens mit der Bekanntgabe gegenüber dem Kläger erledigt.
(BGH Urt. v. 16.7.2024 – II ZR 71/23)