Eile mit Weile: Zur fristgerechten außerordentlichen Kündigung eines Vorstandsdienstvertrags
Gerichtliche Streitigkeiten um die Wirksamkeit außerordentlicher fristloser Kündigungen eines Vorstandsdienstvertrags sind in der Praxis die Regel. Grund genug, einen solchen Schritt in Ruhe vorzubereiten. Welche Rolle dabei die 14-tägige Frist des § 626 Abs. 2 BGB spielt, zeigt ein Urteil des OLG München.
Sachverhalt
Der Kläger war Vorstand der beklagten Aktiengesellschaft (X-AG). In der Zeit zwischen April und Juni 2021 versandte er von seinem geschäftlichen Email-Account aus mehrere Nachrichten an Mitarbeiter bzw. Vorstandsmitglieder der Beklagten, der Mutter- und einer Tochtergesellschaft. Die Nachrichten enthielten vertrauliche Informationen der Beklagten beziehungsweise der X-Gruppe. Dabei setzte der Kläger stets sichtbar seine private Email-Adresse in „cc“. Zwei der Nachrichten aus Mai 2021 waren auch an Y gerichtet, einem Mitglied des Aufsichtsrats der X-AG.
Ende September 2021 war einem neuen Vorstandsmitglied der X-AG Ende aufgefallen, dass der Kläger die vertraulichen Informationen auch an seinen privaten Email-Account gesendet hatte. Um Stellungnahme hierzu gebeten, teilte der Kläger am 30. September 2021 mit, dieses Vorgehen hätte allein den Zweck gehabt, den Überblick über wichtige Vorgänge zu behalten; er hätte die Emails stattdessen auch ausdrucken können.
In seiner Sitzung vom 11. Oktober 2021 beschloss der Aufsichtsrat der X-AG, den Kläger mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund aus dem Vorstand der Beklagten abzuberufen und den Vorstandsdienstvertrag des Klägers mit der Beklagten aus wichtigem Grund außerordentlich und fristlos zu kündigen. Mit vom Aufsichtsratsvorsitzenden der Beklagten unterzeichneten Schreiben vom gleichen Tag kündigte die Beklagte den Vorstandsdienstvertrag außerordentlich fristlos aus wichtigem Grund. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger unstreitig am 13. Oktober 2021 zu.
Der Kläger war u.a. der Auffassung, dass es bereits an einem wichtigen Grund für die Kündigung des Dienstvertrags gefehlt habe. Jedenfalls aber habe die Beklagte die 14-tägige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt, weil sich aus den auch an das Aufsichtsratsmitglied Y gerichteten Emails aus Mai 2021 die Kenntnis eines Mitglieds des Aufsichtsrats der Beklagten von der Weiterleitung der Emails an den privaten Email-Account des Klägers ergeben habe.
Das LG München I sah zwar einen wichtigen Grund für die Kündigung als gegeben an, hielt den Vorstandsdienstvertrag jedoch wegen Versäumens der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB für weiterhin wirksam.
Entscheidung
Das OLG München bestätigte zunächst das Vorliegen eines wichtigen Grunds für die außerordentliche fristlose Kündigung, sah diese aber anders als das Landgericht als noch innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgt an.
Für den Fristbeginn nach § 626 Abs. 2 BGB sei ausschlaggebend, wann der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Diese Kenntnis habe der für die Kündigung zuständige Aufsichtsrat der Beklagten hinsichtlich aller streitgegenständlichen Emails jedoch erst in seiner Sitzung vom 11. Oktober 2021 erlang, sodass die Kündigung vom selben Tag dem Kläger noch innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 626 Abs. 2 BGB zugegangen sei.
Anders als das LG München es angenommen hatte, habe der Aufsichtsrat nicht deshalb Kenntnis von den Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit den Emails erhalten, weil das Mitglied Y bereits Ende Mai hätte erkennen können, dass der Kläger die vertraulichen Informationen auch an seinen privaten Email-Account gesendet hatte. Es sei nämlich im Einklang mit der BGH-Rechtsprechung zur GmbH, die auch für die Aktiengesellschaften gelte, davon auszugehen, dass es auf die Kenntnis des zuständigen Organs ankomme und nicht auf diejenige eines Organ-Mitglieds. Da der zuständige Aufsichtsrat aber ein Kollegialorgan sei, das seinen Willen durch Beschlussfassung bilden müsse, komme es für die Wissenszurechnung nur auf die Kenntnis der Organmitglieder in ihrer Eigenschaftals Mitwirkende an der kollektiven Willensbildung an. Kenntnis als kollegiales Beratungs- und Beschlussorgan liege daher erst dann vor, wenn der für die Tatsachenkenntnis maßgebliche Sachverhalt den Aufsichtsratsmitgliedern im Rahmen einer Aufsichtsratssitzung unterbreitet werde.
Denn § 626 Abs. 2 BGB beruhe auf dem Gedanken, dass der Berechtigte aus seiner Kenntnis die seiner Ansicht nach gebotenen Konsequenzen ziehen könne; hierzu seien die Aufsichtsratsmitglieder, selbst wenn sie sämtlich als einzelne außerhalb einer Aufsichtsratssitzung Kenntnis vom Kündigungssachverhalt erlangt hätten, nicht ohne den Zusammentritt als Kollegialorgan in der Lage. Dabei erfordere nach der Rechtsprechung des BGH die erforderliche Kenntniserlangung eine sichere und umfassende Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen. Dies sei nur dann gegeben, wenn alles in Erfahrung gebracht wurde, was als notwendige Grundlage für eine Entscheidung über Fortbestand oder Auflösung des Dienstverhältnisses anzusehen sei. Kenntniserlangung sei daher erst in der Aufsichtsratssitzung vom 11. Oktober 2021 erfolgt.
Es habe auch keine verzögerte Einberufung der Aufsichtsratssitzung vom 11. Oktober 2021 vorgelegen mit der Folge, dass der Aufsichtsrat sich so stellen lassen müsste, als wäre seine Sitzung mit der zumutbaren Beschleunigung einberufen worden. Dies wäre dann der Fall gewesen, wenn das Aufsichtsratsmitglied Y bereits im Mai 2021 positive Kenntnis von den Kündigungsgründen gehabt und gleichwohl von einer alsbaldigen Einberufung abgesehen hätte. Das OLG konnte insoweit jedoch keine Kenntnis des Y feststellen und nach der Rechtsprechung des BGH genüge selbst grobe Fahrlässigkeit insoweit nicht.
Praxishinweis
Erst jüngst hatte der 7. Senat des OLG München en Detail aufgezeigt, was man als Aufsichtsratsmitglied im Zusammenhang mit Beraterverträgen und Sondervergütungen alles falsch machen kann. Dieses Mal stärkte das Gericht dem Organ „Aufsichtsrat“ gegenüber einem fristlos gekündigten Vorstandsmitglied demonstrativ den Rücken. Hintergrund war das in der Praxis häufig vorkommende Szenario, dass neben einer Abberufung vom Vorstandsamt aus wichtigem Grund auch der Anstellungsvertrag des Vorstandsmitglieds außerordentlich und fristlos gekündigt wurde. Letzteres deshalb, weil auch ein wirksamer Widerruf der Organstellung die Wirksamkeit des Anstellungsvertrags – und damit der Vergütungsansprüche des Gekündigten – regelmäßig unberührt lässt. Dieses Ergebnis kann auch eine sogenannte „Kopplungsklausel“ im Anstellungsvertrag – also eine Regelung, die den Anstellungsvertrag im Fall einer wirksamen Abberufung vom Amt für beendet erklärt – nicht zuverlässig verhindern. Umso wichtiger ist es aus Sicht des Aufsichtsrats, eine außerordentliche fristlose Kündigung erst dann auszusprechen, wenn die tatsächlichen Umstände bekannt sind, aus denen sich der erforderliche „wichtige Grund“ im Sinne des § 626 BGB ergibt.
Dass hier trotz der knappen 14-tägigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB mitunter hinreichend Zeit für eine sorgfältige Vorbereitung der Kündigung durch den Aufsichtsrat gegeben ist, ergibt sich aus der Begründung des Senats. Zum einen sieht er die erforderliche Erlangung der Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erst dann als gegeben an, wenn „alles in Erfahrung gebracht wurde, was als notwendige Grundlage für eine Entscheidung über Fortbestand oder Auflösung des Dienstverhältnisses anzusehen ist“. Die bloße Möglichkeit eines Kündigungssachverhalts zwingt daher nicht zu einer (vorschnellen) Kündigung. Der Aufsichtsrat kann und darf in einem solchen Fall vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB anlaufen würde. Zum anderen stellt der Senat klar, dass allein die Kenntniserlangung eines Aufsichtsratsmitglieds dem Organ „Aufsichtsrat“ diese Kenntnis (noch) nicht vermittelt: Vielmehr bedarf es dazu einer Aufsichtsratssitzung zur gemeinsamen Willensbildung. Auf der anderen Seite darf der Aufsichtsrat bei der Einberufung seiner (zumeist außerordentlichen) Sitzung aber auch nicht trödeln. Zu Recht weist der Senat darauf hin, dass sich die Gesellschaft andernfalls so behandeln lassen muss, als wäre die Aufsichtsratssitzung mit der billigerweise zumutbaren Beschleunigung einberufen worden.
(OLG München, Endurteil vom 31.07.2024 – 7 U 351/23 e)