Betriebsratswahlen 2022 – Welche Neuerungen bringen das Betriebsrätemodernisierungsgesetz und die Änderung der Wahlordnung?
Die turnusmäßigen Betriebsratswahlen stehen unmittelbar bevor. Dabei gehen mit dem seit Mitte Juni 2021 in Kraft getretenen Betriebsrätemodernisierungsgesetz sowie der seit Mitte Oktober 2021 geänderten Wahlordnung einige Neuerungen einher. Diese werden einerseits von den Betriebsräten genau zu befolgen sein. Andererseits ist es auch für Arbeitgeber essentiell, das Verfahren der Betriebsratswahlen sowie etwaig damit einhergehende Pflichten und (kommunikative) Freiräume im Blick zu haben. Nachfolgend soll daher ein Überblick über einige ausgewählte Neuerungen verschafft werden.
Neuerungen durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz
1. Absenkung des Mindestalters für die Berechtigung zur Wahl des Betriebsrats
Auf den Punkt:
- Gewählt werden kann mit Vollendung des 16. Lebensjahres.
- Wählbar ist man weiterhin mit Vollendung des 18. Lebensjahres.
- Sind Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nicht wählbar, dürfen aber wählen, sind sie in der Wählerliste auszuweisen.
Im Detail:
Mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz hat der Gesetzgeber das Mindestalter für die Wahlberechtigung in § 7 S. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) von der Vollendung des 18. Lebensjahres auf die Vollendung des 16. Lebensjahres abgesenkt. Stimmberechtigt sind nunmehr alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die am Wahltag bzw. bei Stimmabgabe das 16. Lebensjahr vollendet haben. Mit der Absenkung des Mindestalters der Wahlberechtigung gehen für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darüber hinaus weitere Rechte einher. Dies betrifft bspw. das Recht Wahlvorschläge zu unterbreiten oder die Möglichkeit zur Mitgliedschaft im Wahlvorstand.
Demgegenüber hat der Gesetzgeber von einer Absenkung des Mindestalters für die Wählbarkeit abgesehen. Hier bleibt es auch nach Inkrafttreten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes beim Erfordernis der Vollendung des 18. Lebensjahres. Der geänderte § 8 Abs. 1 S. 1 BetrVG stellt dies ausdrücklich klar.
Infolge der Änderung des Wahlalters sind diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zwar zur Wahl berechtigt, nicht aber wählbar sind, gemäß dem ebenfalls geänderten § 2 Abs. 1 S. 3 der Wahlordnung zum BetrVG (WO) in der Wählerliste entsprechend auszuweisen.
2. Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens und Einschränkung des Erfordernisses von Stützunterschriften
Auf den Punkt:
- Die Durchführung des vereinfachten Wahlverfahrens in Betrieben mit in der Regel 5 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist verpflichtend.
- Die Durchführung des vereinfachten Wahlverfahrens in Betrieben mit in der Regel 101 bis 200 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kann vereinbart werden.
- Das Erfordernis von Stützunterschriften entfällt für kleinere Betriebe mit bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und wird für sonstige Betriebe, abhängig von deren Größe, eingeschränkt.
Im Detail:
Bereits 2001 hatte der Gesetzgeber das vereinfachte Wahlverfahren in das BetrVG aufgenommen. Gekennzeichnet ist dieses u.a. durch verkürzte Fristen. Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz erweitert dessen verpflichtende Durchführung nunmehr auf Betriebe mit in der Regel fünf bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (vgl. § 14a Abs. 1 BetrVG). Grund dafür ist die größere Wahlbeteiligung bei Durchführung des vereinfachten Wahlverfahrens. In Betrieben mit in der Regel 101 bis 200 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besteht keine derartige Verpflichtung. Hier können Arbeitgeber und Wahlvorstand die Durchführung des vereinfachten Wahlverfahrens allerdings vereinbaren (vgl. § 14a Abs. 5 BetrVG).
In kleineren Betrieben mit in der Regel bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern entfällt zudem das Erfordernis von Stützunterschriften. Dies legt der geänderte § 14 Abs. 4 BetrVG nunmehr fest. In Betrieben mit in der Regel 21 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern genügt demgegenüber die Unterzeichnung der Wahlvorschläge durch mindestens zwei wahlberechtigte Arbeitnehmerinnen und/oder Arbeitnehmer. In Betrieben mit in der Regel mehr als 100 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bedarf es hingegen grundsätzlich der Unterzeichnung der Wahlvorschläge von mindestens einem Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und/oder Arbeitnehmer. In jedem Fall genügt die Unterzeichnung durch 50 wahlberechtigte Arbeitnehmerinnen und/oder Arbeitnehmer.
Daraus folgt für die erforderlichen Stützunterschriften:
| Vor Inkrafttreten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes | Nach Inkrafttreten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes |
Betriebe mit in der Regel bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern | 2 | Keine |
Betriebe mit in der Regel 21 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern | Mindestens 1/20; mindestens 3; 50 ausreichend | Mindestens 2; 50 ausreichend |
Betriebe mit in der Regel mehr als 100 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern | Mindestens 1/20; mindestens 3; 50 ausreichend | Mindestens 1/20; 50 ausreichend |
3. Einschränkung der Möglichkeit zur Anfechtung der Betriebsratswahl bei Unrichtigkeit der Wählerliste
Auf den Punkt:
- Die Anfechtung der Betriebsratswahl bei Unrichtigkeit der Wählerliste setzt in der Regel einen vorherigen Einspruch voraus.
- Arbeitgeber können die Betriebsratswahl wegen Unrichtigkeit der Wählerliste nicht anfechten, wenn die Unrichtigkeit auf ihren Angaben beruht.
Im Detail:
Der neu eingeführte § 19 Abs. 3 BetrVG schränkt die Möglichkeit zur Anfechtung der Betriebsratswahl bei Unrichtigkeit der Wählerliste ein.
Die Anfechtung der Betriebsratswahl wegen Unrichtigkeit der Wählerliste setzt insofern einen zuvor ordnungsgemäß eingelegten Einspruch voraus. Ausnahme: Die anfechtenden Wahlberechtigten waren an der Einlegung des vorherigen Einspruchs gehindert. Als Beispiel für einen Hinderungsgrund nennt die Gesetzesbegründung die fortdauernde Arbeitsunfähigkeit. Ordnungsgemäß eingelegt wurde der Einspruch dann, wenn er den Vorgaben der Wahlordnung entspricht. Die Modalitäten der (vorherigen) Einspruchseinlegung richten sich nach § 4 Abs. 1 WO. Der einer Anfechtung vorausgehende Einspruch muss dabei nicht von den anfechtenden Wahlberechtigten eingelegt worden sein.
Für Arbeitgeber ist das Anfechtungsrecht ausgeschlossen, wenn die Unrichtigkeit auf deren Angaben beruht (vgl. § 19 Abs. 3 S. 3 BetrVG). Diese Einschränkung entspringt den Vorgaben des § 2 Abs. 2 S. 1 WO. Danach hat der Arbeitgeber dem Wahlvorstand alle für die Anfertigung der Wählerliste erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Macht er hierbei unrichtige Angaben, kann er sich in der Folge nicht auf diese Unrichtigkeit berufen.
Neuerungen durch Änderung der Wahlordnung
1. Digitale Sitzungen des Wahlvorstands
Auf den Punkt:
- Sitzungen des Wahlvorstands, die nicht öffentlich sind, können grundsätzlich digital durchgeführt werden.
Im Detail:
Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz hat bereits die Möglichkeit zur Durchführung von Sitzungen des Betriebsrats mittels Video- und Telefonkonferenz eröffnet. Diese Möglichkeit ist in Folge der Änderung der Wahlordnung auch dem Wahlvorstand eingeräumt worden.
Zwar verlangt § 1 Abs. 3 S. 2 WO, dass Sitzungen des Wahlvorstands als Präsenzsitzungen stattzufinden haben. Unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 S. 1 WO kann der Wahlvorstand hiervon allerdings ganz oder durch Zuschaltung einzelner Teilnehmerinnen und Teilnehmer abweichen. Dies gilt grundsätzlich für nicht öffentliche Sitzungen. Weiterhin muss sichergestellt sein, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können (§ 1 Abs. 4 S. 3 WO), keine Aufzeichnung der Sitzung erfolgt (§ 1 Abs. 4 S. 4 WO) und die mittels Video- und Telefonkonferenz Teilnehmenden ihre Teilnahme gegenüber der oder dem Vorsitzenden in Textform bestätigt haben (§ 1 Abs. 4 S. 5 WO).
Nicht zulässig sind digitale Sitzungen hingegen im Rahmen einer Wahlversammlung im vereinfachten Wahlverfahren, zur Prüfung eingereichter Vorschlagslisten sowie zur Durchführung eines Losverfahrens (§ 1 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 bis 3 WO).
2. Verlängerte Möglichkeit zur Berichtigung der Wählerliste
Auf den Punkt:
- Die Berichtigung der Wählerliste ist bis zum Abschluss der Stimmabgabe möglich.
Im Detail:
Wollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Betriebsrat wählen, müssen sie in der Wählerliste eingetragen sein. Bislang kam eine Berichtigung der Wählerliste bis spätestens einen Tag vor Beginn der Stimmabgabe in Betracht. Dies konnte mitunter dazu führen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das Wahlrecht abschnitten wurde. Der Verordnungsgeber hat daher die Möglichkeit zur Berichtigung der Wählerliste durch Änderung des § 4 Abs. 3 S. 2 WO verlängert. Diese wird nunmehr bis zum Abschluss der Stimmabgabe ermöglicht.
3. Falten der Stimmzettel statt Wahlumschlag
Auf den Punkt:
- Bei der Präsenzwahl müssen Wahlumschläge nicht mehr zur Verfügung gestellt werden.
- Es genügt das Falten des Stimmzettels.
Im Detail:
Im Rahmen der Betriebsratswahl in Präsenz genügt es nunmehr den Stimmzettel so zu falten, dass die Stimme nicht mehr erkennbar ist und den gefalteten Stimmzettel sodann in die Wahlurne einzuwerfen. Der Verordnungsgeber hat folglich durch Änderung vor allem von § 11 WO das Erfordernis der Zurverfügungstellung von Wahlumschlägen – jedenfalls für Präsenzwahlen – abgeschafft. Damit gleicht er die Wahlordnung für die Betriebsratswahlen an die Wahlordnung des Drittelbeteiligungsgesetzes zur Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat an. Diese ließ bereits zuvor das bloße Falten der Stimmzettel ausreichen.
4. Stärkere Einbeziehung abwesender Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
Auf den Punkt:
- Der Wahlvorstand hat Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die aus bestimmten Gründen (voraussichtlich) nicht zur Stimmabgabe im Betrieb anwesend sind, die Wahlunterlagen auf ihr Verlangen oder ggf. sogar unaufgefordert zuzusenden.
- Dies gilt auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die pandemiebedingt mobil arbeiten.
- Der Arbeitgeber hat die zur Identifizierung der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erforderlichen Informationen dem Wahlvorstand zur Verfügung zu stellen.
Im Detail:
Die Briefwahl erfordert demgegenüber auch weiterhin, dass der Stimmzettel in den hierfür vorgesehenen Wahlumschlag eingelegt wird.
Dementsprechend hat der Wahlvorstand wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die wegen Abwesenheit an einer persönlichen Stimmabgabe verhindert sind, auf ihr Verlangen hin einen Wahlumschlag samt der weiteren nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 5 WO erforderlichen Wahlunterlagen auszuhändigen oder zu übersenden. Die verwendeten Wahlumschläge müssen dabei die gleiche Größe, Farbe, Beschaffenheit und Beschriftung aufweisen (vgl. § 24 Abs. 1 S. 2 WO).
Gleiches gilt, auch ohne ausdrückliches Verlangen der wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, soweit dem Wahlvorstand bekannt ist, dass diese bspw. aufgrund einer Beschäftigung im Außendienst, in Telearbeit oder aus anderen Gründen, wie etwa dem Ruhen ihres Arbeitsverhältnisses (z.B. aufgrund Elternzeit), voraussichtlich nicht zur Stimmabgabe im Betrieb anwesend sein werden (vgl. § 24 Abs. 2 S. 1 WO). Hierbei hat der Arbeitgeber dem Wahlvorland die für die Identifizierung erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen (§ 24 Abs. 2 S. 2 WO). Die Verordnungsbegründung erklärt die Zurverfügungstellung der Informationen dabei für datenschutzrechtlich zulässig. Arbeitgeber werden sich insofern bei der diesbezüglichen Datenverarbeitung auf Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. c) und f) Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie § 26 Abs. 1 S. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) als Rechtsgrundlage(n) berufen können.
Nicht ausdrücklich in der Wahlordnung geregelt wurden hingegen Fälle, in denen wahlberechtigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – insbesondere pandemiebedingt – mobil arbeiten ohne, dass es sich dabei um Telearbeit handelt. Auch hier wird der Wahlvorstand letztlich ohne ausdrückliches Verlangen der Betroffenen zur Übersendung bzw. Aushändigung der Wahlunterlagen verpflichtet sein, jedenfalls sofern der erwartete Abwesenheitszeitraum mindestens sechs Wochen beträgt. Nach § 24 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WO genügt insoweit eine voraussichtliche Abwesenheit ,,aus anderen Gründen‘‘. Die Verordnungsbegründung verlangt dabei zwar, dass die Betroffenen über einen längeren Zeitraum nicht im Betrieb anwesend sind. Sie geht aber auch davon aus, dass bereits ein erwarteter Abwesenheitszeitraum entsprechend der vorgenannten sechs Wochen den Anforderungen des § 24 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WO genügt.
5. Zugangszeitpunkt fristgebundener Erklärungen gegenüber dem Wahlvorstand
Auf den Punkt:
- Als Fristende für die Abgabe bestimmter Erklärungen kann der Wahlvorstand eine Uhrzeit festzulegen, bis zu der die Erklärungen zugehen müssen.
Im Detail:
Die Fristen für Erklärungen nach der Wahlordnung gegenüber dem Wahlvorstand richten sich gemäß § 41 Abs. 1 WO nach den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Dies betrifft insbesondere den Einspruch gegen die Wählerliste oder die Einreichung von Vorschlagslisten. Fristen enden damit grundsätzlich um 24 Uhr am letzten Tag der Frist.
Durch Neueinführung des § 41 Abs. 2 S. 1 WO hat der Wahlvorstand – in Umsetzung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – nunmehr die Möglichkeit für bestimmte Erklärungen eine Uhrzeit festzulegen, bis zu der die Erklärungen zugehen müssen. Diese Uhrzeit darf wiederum nicht vor dem Ende der Arbeitszeit der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler an diesem Tag liegen (vgl. § 41 Abs. 2 S. 2 WO).