September 2024 Blog

Störung der Lieferkette – Preisanpassung und (angedrohter) Lieferstopp

Insbesondere in den Segmenten Automotive und Mobilität, aber auch in vielen anderen Industriebereichen, sind sog. just-in-time Lieferverträge an der Tagesordnung. Die Teilepreise und sonstigen Lieferbedingungen werden dabei regelmäßig in langfristigen Rahmenvereinbarungen festgeschrieben. In jüngerer Vergangenheit haben gestiegene Energiekosten, Inflation und geopolitische Krisen (u.a. Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und Nahost-Konflikt) zu Kostenerhöhungen geführt, welche die Lieferanten (zumindest teilweise) durch Preisanpassungen an ihre Abnehmer weiterreichen wollen.

Wird einem entsprechenden Verlangen des Lieferanten nicht entsprochen bzw. in den diesbezüglichen Verhandlungen keine Einigung erzielt, droht in der Praxis nicht selten ein Lieferstopp. Dieser kann gegebenenfalls unmittelbar zu Produktionsausfällen und schwerwiegenden finanziellen Verlusten führen. Ein solches Szenario ist grundsätzlich auf allen nachgelagerten Ebenen einer mehrstufigen Lieferkette denkbar. Für potentiell betroffene Unternehmen empfiehlt sich daher eine frühzeitige Vorbereitung, um im Ernstfall schnell und zielgerichtet reagieren zu können.

Ausgangspunkt: Vertragslage

Ausgangspunkt für eine Bewertung der Situation und etwaige Handlungsmöglichkeiten der Parteien ist zunächst die bestehende Vertragssituation als Grundlage der jeweiligen Lieferbeziehung.

Der Lieferant sollte daher zunächst sorgfältig prüfen, ob überhaupt eine konkrete Lieferverpflichtung (Einzelbestellung, Purchase Order) bzw. eine – sich unter Umständen aus einem Rahmenvertrag ergebende – Kontrahierungspflicht besteht. Gegebenenfalls enthält der (Rahmen-)Vertrag eine Regelung, wonach der Lieferant unter bestimmten Voraussetzungen eine Preisanpassung verlangen kann. Unter gewissen Umständen kann alternativ auch die Berufung auf eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) in Betracht kommen.

Etwaig vom Lieferanten vorgebrachte Argumente für ein Preisanpassungsverlangen sind vom jeweiligen Abnehmer unter Berücksichtigung der konkret vorliegenden Umstände zu prüfen und zu bewerten. Dieser sollte dabei insbesondere auch nachvollziehen, inwieweit eine tatsächliche Lieferverpflichtung des Lieferanten zu den in Rede stehenden Konditionen besteht. Nach dem Grundprinzip pacta sunt servanda (dt. Verträge sind einzuhalten) ist grundsätzlich an bestehenden Verträgen festzuhalten.

Strategische Überlegungen im Vorfeld des Vertragsschlusses

Bereits im Rahmen der Verhandlung von (Rahmen-)Lieferverträgen sollten strategische Überlegungen dazu angestellt werden, wie im Einzelfall mit Kostenerhöhungen umzugehen ist bzw. gegebenenfalls auf die Androhung eines Lieferstopps reagiert werden kann. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf diejenigen Lieferanten zu legen, zu denen mit Blick auf die eigene Produktion ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht, weil beispielsweise ein langer Zertifizierungsprozess erforderlich ist oder schlicht keine Alternativlieferanten auf dem Markt zur Verfügung stehen.

Der Lieferant sollte in diesem Stadium darauf hinwirken, dass in den (Rahmen-)Vertrag explizite Möglichkeiten zur Preisanpassung bei Kostenerhöhungen aufgenommen werden. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang auch die Aufnahme von Force-Majeure-Regelungen, die jedenfalls auch ein Preisanpassungsrecht des betroffenen Lieferanten vorsehen. Im Zusammenhang mit Preisanpassungsklauseln sind dabei stets die Vorgaben des Preisklauselgesetzes sowie – im Falle einer Vereinbarung im Rahmen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) – der AGB-Kontrolle zu beachten. Diese kommt – in abgeschwächter Form – auch im B2B-Bereich zur Anwendung und soll verhindern, dass eine entsprechende Bestimmung zu einer unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners führt. Eine solche Benachteiligung kann beispielsweise vorliegen, wenn die Preisanpassungsklausel dem Lieferanten nicht nur einen Ausgleich von Kostenerhöhungen, sondern darüber hinaus auch einseitige Gewinnsteigerungen ermöglicht.

Der Abnehmer sollte im Zuge der Vertragsverhandlungen zunächst darauf achten, dass der (Rahmen-)Vertrag möglichst eindeutige Bestimmungen zu den konkreten Lieferverpflichtungen des Lieferanten enthält. Insbesondere im Rahmen von Setzteilvergaben kann im Einzelfall auch in Betracht kommen, etwaige Lieferverträge unmittelbar mit dem Tier-1- und dem Tier-2-Lieferanten (Setzteillieferanten) abzuschließen, damit gegenüber beiden vorgelagerten Stufen der Lieferkette vertragliche Belieferungsansprüche (gegenüber dem Tier-1-Lieferanten auf Lieferung an den Abnehmer und gegenüber dem Setzteillieferanten auf Lieferung an den Tier-1) bestehen. Alternativ (d.h. ohne eigenen Belieferungsanspruch des Abnehmers gegenüber dem Setzteillieferanten) besteht die Möglichkeit, dass der Abnehmer berechtigt wird, den Belieferungsanspruch des Tier-1-Lieferanten gegenüber dem Setzteillieferanten bei Bedarf selbst gerichtlich durchzusetzen. Diese Berechtigung kann dem Abnehmer entweder im Rahmen einer dreiseitigen Vereinbarung mit dem Tier-1-Lieferanten und dem vorgeschalteten Setzteillieferanten eingeräumt werden oder der Abnehmer lässt sich in seinem Liefervertrag mit dem Tier-1-Lieferanten (d.h. ohne Beteiligung des Setzteillieferanten) zu einer entsprechenden Anspruchsdurchsetzung ermächtigen (gewillkürte Prozessstandschaft).

Die Wahl des Vertragspartners auf beiden Seiten der Lieferbeziehung hat zudem auch Relevanz für die Fragen des Gerichtstands, der Zustellung von Dokumenten und einer etwaigen Vollstreckung, die aber – soweit möglich – ohnehin unmittelbar im jeweiligen (Rahmen‑)Liefervertrag geregelt werden sollten.

Schließlich kann es Sinn ergeben, im (Rahmen-)Vertrag vorsorglich weitere Vereinbarungen – insbesondere zur Geltendmachung von Leistungsverweigerungs- und Zurückbehaltungsrechten sowie zur Force Majeure und dem Beschaffungsrisiko entlang der Lieferkette – zu treffen.

Handlungsoptionen des Abnehmers

 

Durchsetzung des Belieferungsanspruchs

Besteht eine Lieferverpflichtung des Lieferanten und droht dieser gleichwohl mit einem Lieferstopp, hat der Abnehmer sodann verschiedene Handlungsoptionen, um seinen Belieferungsanspruch durchzusetzen:

Zurückweisung etwaiger Preisanpassungsverlangen

In einem ersten Schritt dürfte regelmäßig angezeigt sein, das (unbegründete) Preisanpassungsverlangen des Lieferanten zurückzuweisen und die Fortsetzung der Belieferung zu verlangen. Eine solche Zurückweisung ist umso erfolgsversprechender, je besser die eigenen Argumente und je schwächer die Begründung des Lieferanten ist.

​​​​​​​Verhandlungen mit dem Lieferanten

Sofern die Beziehung mit dem Lieferanten noch nicht endgültig zerrüttet ist, kommt gegebenenfalls die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Lieferanten in Betracht. Dies gilt insbesondere dann, wenn seitens des Abnehmers ein starkes Interesse an einer Fortsetzung der Lieferbeziehung besteht und die Begründung des Lieferanten nicht von vornherein jeglicher Grundlage entbehrt.

​​​​​​​Außergerichtliches Aufforderungsschreiben

Zeichnet sich ab, dass mit dem Lieferanten keine Lösung erreicht werden kann und/oder droht dieser weiterhin mit einem Lieferstopp, empfiehlt sich die Versendung eines außergerichtlichen Aufforderungsschreibens. Abhängig vom jeweiligen Einzelfall kann ein solches Aufforderungsschreiben auch schon frühzeitig und parallel zur Aufnahme von Verhandlungen sinnvoll sein.

​​​​​​​Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung

Schließlich empfiehlt es sich, parallel zur Aufnahme von Verhandlungen mit dem Lieferanten und gegebenenfalls dem Versand eines außergerichtlichen Aufforderungsschreibens, über eine mögliche Durchsetzung der Belieferungsansprüche im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes (d.h. Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung) nachzudenken. Bei Erlass einer einstweiligen Verfügung würde dann gegebenenfalls eine – zeitlich befristete – Verpflichtung zur Weiterbelieferung ausgesprochen bzw. die entsprechende Verpflichtung des Lieferanten festgestellt. Kommt der Lieferant dieser Verpflichtung dann nicht nach, kann zur Durchsetzung des Anspruchs ein Zwangsgeld (bis zu EUR 25.000) oder – ersatzweise – Zwangshaft beantragt werden.

Für den Erlass einer einstweiligen Verfügung bedarf es eines Verfügungsanspruchs (vertraglicher Anspruch auf Weiterbelieferung) und eines Verfügungsgrunds (Eilbedürftigkeit). Diese Voraussetzungen sind glaubhaft zu machen, d.h. durch den Antragsteller ist insoweit eine konkrete überwiegende Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. In der Praxis erfolgt dies in der Regel durch die Vorlage von Dokumenten und/oder die Abgabe von eidesstattlichen Versicherungen. Die erforderliche Eilbedürftigkeit kann insbesondere dann gegeben sein, wenn der Lieferstopp für das betroffene Unternehmen zu einer Existenzbedrohung führt oder unmittelbar unzumutbare bzw. unverhältnismäßige Vermögensnachteile (d.h. sehr hohe und unwiederbringliche Schäden) drohen.

Über einen gut vorbereiteten Antrag kann das angerufene Gericht bei besonderer Dringlichkeit gegebenenfalls innerhalb weniger Tage ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden. Die vom Bundesverfassungsgericht insoweit geforderte Anhörung und Einbeziehung der Gegenseite lässt sich unter bestimmten Voraussetzungen auch vorprozessual durch die Erwiderungsmöglichkeit auf ein außergerichtliches Mahnschreiben gewährleisten, sodass es dann keiner weiteren Anhörung im gerichtlichen Verfahren bedarf.

Letztlich zeigen Erfahrungen aus der Vergangenheit und ergangene Gerichtsentscheidungen, dass ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei einem (angedrohten) Lieferstopp durchaus erfolgsversprechend sein kann, wenn dieser sorgfältig vorbereitet und das weitere Verfahren eng begleitet wird.

​​​​​​​Nachträgliche Anfechtung einer etwaig erfolgten Preisanpassung

Lässt sich der Belieferungsanspruch aus zeitlichen und/oder betriebswirtschaftlichen Gründen im Einzelfall nicht oder jedenfalls nicht rechtzeitig durchsetzen, kann es unter Umständen vorzugswürdig sein, zunächst dem Druck des Lieferanten nachzugeben und eine geforderte Preisanpassung vorzunehmen. Unter bestimmten Voraussetzungen hat der Abnehmer dann die Möglichkeit, diese Preisanpassung nachträglich zu korrigieren.

Die unter Androhung eines Lieferstopps erzielte Vertragsänderung ist nämlich unter Umständen wegen widerrechtlicher Drohung anfechtbar, wenn der Rechtsstandpunkt des Lieferanten nicht mehr vertretbar war. Erklärt der Abnehmer in diesem Fall binnen Jahresfrist eine Anfechtung der Anpassungsvereinbarung, wird diese als von Anfang an nichtig angesehen.

Handlungsoptionen des Lieferanten

 

Möglichkeiten zur Durchsetzung der Preisanpassung

Besteht nach der Vertragslage keine Lieferverpflichtung und/oder kein Kontrahierungszwang des Lieferanten, kann dieser gegebenenfalls die Belieferung einstellen. Hierdurch erhält der Lieferant einen gewissen Verhandlungsspielraum, um als Gegenleistung für eine Weiterbelieferung und den Abschluss von diesbezüglichen Vereinbarungen eine von ihm gewünschte Preiserhöhung durchzusetzen.

Ist der Lieferant zu einer Belieferung des Abnehmers verpflichtet, sieht der (Rahmen-) Liefervertrag zugleich aber explizit die Möglichkeit von Preisanpassungen vor, kann der Lieferant diesen Anspruch – gegebenenfalls auch gerichtlich – geltend machen. Ohne entsprechende vertragliche Bestimmung kommt bei Vorliegen der jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage oder eine Kündigung des (Rahmen-)Liefervertrages in Betracht. Im Hinblick auf einen (Rahmen-) Liefervertrag als sog. Dauerschuldverhältnis kann ein Kündigungsrecht dabei auch ohne ausdrückliche vertragliche Regelung bestehen, wenn es sich um ein unbefristetes Schuldverhältnis handelt und die Parteien das Kündigungsrecht nicht vertraglich ausgeschlossen haben.

Bei der entsprechenden Beurteilung der Vertrags- und Gesetzeslage ist allerdings eine gewisse Vorsicht geboten. Sollte es für die Ankündigung eines Lieferstopps tatsächlich keine objektiv oder subjektiv vertretbare Grundlage gegeben haben, kann eine etwaig erfolgte Preisanpassung unter Umständen vom Abnehmer angefochten und auf diesem Wege wieder rückgängig gemacht werden.

​​​​​​​Präventive Verteidigung gegen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung

Wird ein Antrag des Abnehmers auf Durchsetzung etwaiger Belieferungsansprüche im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes antizipiert, besteht außerdem die Möglichkeit, vorsorglich eine sog. Schutzschrift beim zentralen Schutzschriftenregister zu hinterlegen. Eine solche Schutzschrift müsste das angerufene Gericht dann vor dem Erlass einer Entscheidung berücksichtigen.

Ausblick

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass ein “one-size-fits-all”-Ansatz für den Umgang mit Kostenerhöhungen und einem etwaig angedrohten Lieferstopp nicht existiert. Es lassen sich zwar gewisse Leitlinien aufstellen, deren Anwendung und konkrete Ausgestaltung jedoch von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalls abhängig ist.

Ungeachtet dessen stellen sich in diesem Zusammenhang gleichwohl häufig dieselben oder jedenfalls ähnliche Fragen, welche insbesondere die konkrete Vertragslage sowie die Ausgestaltung der Lieferbeziehung bzw. diesbezügliche Prognosen betreffen. Da bei einer ökonomischen Schieflage oder einem angedrohten Lieferstopp regelmäßig ein erheblicher Zeit- und Handlungsdruck besteht, empfiehlt sich deshalb ein standardisierter Prozess, der eine Abarbeitung von typischen Fragestellungen anhand einer „Checkliste“ ermöglicht.

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